Die Folgen der Erderwärmung in der Westantarktis und ihre Konsequenzen für den globalen Meeresspiegel:
- Pine-Island-Gletscher und der Thwaites-Gletscher in der Westantarktis sind bereits jetzt für zehn Prozent des globalen Meeresspiegelanstiegs verantwortlich
- Wenn die Gletscher abschmelzen, könnte das gesamte westantarktische Eisschild kollabieren. Dies hätte einen Anstieg des globalen Meeresspiegels um drei Meter zur Folge – was bspw. Hamburg unter Wasser setzen würde
- Wissenschaftler:innen haben nun in einer neuen Studie konkrete Kipppunkte festgestellt, die zum Kollaps des Pine-Island-Gletschers und damit des Eisschildes in der Westantarktis führen. Dazu gehört eine Erwärmung der Ozeantemperatur um 1,2°C
Als Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik, auf Twitter davor warnt, dass das westantarktische Eisschild einen Kipppunkt erreicht haben und unwiederbringlich abschmilzen könnte, scherzen einige Twitter-Nutzer:innen, dass sie dann bald am Meer leben werden. Aber was bedeutet der Kollaps des westantarktischen Eisschildes tatsächlich für uns und ist es bereits zu spät diesen Kipppunkt zu verhindern?
Globaler Meeresspiegel steigt schneller als erwartet
Eine der Folgen der globalen Erderwärmung ist, dass der globale Meeresspiegel steigt. Dies liegt daran, dass das Meereswasser sich ausdehnt, wenn es wärmer wird und dass in Eis gebundene Wasservorräte freiwerden, wenn dieses abschmilzt. Lange ging der Weltklimarat davon aus, dass der Meeresspiegel bis 2100 nicht über einen Meter ansteigen wird. Satellitendaten zeigen jetzt aber, dass der Meeresspiegel stärker steigt, als erwartet: Während der globale Meeresspiegel im Durchschnitt zwischen 1901 und 2015 um ca. 1,7mm pro Jahr anstieg, beobachteten Wissenschaftler:innen seit Beginn der Satellitenbeobachtungen im Jahr 1993 einen Anstieg von ca. 3 mm pro Jahr. Die Geschwindigkeit des Meeresspiegelanstiegs ist also in den letzten Jahren deutlich schneller geworden.
Das Abschmelzen der Eisschilde spielt dabei eine wichtige Rolle, die zum schnelleren Anstieg des globalen Meeresspiegels beiträgt. Eisschilde sind große Flächen aus Eis, die den ursprünglichen Untergrund fast vollständig bedecken. Die weltweit größten Eisschilde sind der grönländische und der antarktische Eisschild – sie machen gemeinsam 96% der vergletscherten Fläche weltweit aus. Die Antarktis umfasst zudem rund 70% des globalen Süßwasservorkommens. Doch die Erderwärmung bedroht diesen Eisschild. Von 1992 bis 2017 verlor der antarktische Eisschild jährlich 109 Gigatonnen Eis. Als besonders gefährdet in den nächsten 100 Jahren gilt die Westantarktis.
Die „Gletscher des Weltuntergangs“
Dort in der westlichen Antarktis befindet sich der Pine-Island-Gletscher. Dieser Gletscher entwässert ein Gebiet, das schätzungsweise etwa eine Fläche umfasst, die 2/3 Großbrittaniens entspricht, bindet also eine große Menge Wasser in Form von Eis. Doch zugleich verliert der Pine Island Gletscher sein Eis stärker als andere Gletscher in der Antarktis. Gemeinsam mit seinem Nachbar-Gletscher, dem Thwaites Gletscher ist der Pine-Island-Gletscher schon jetzt für 10% des globalen Meeresspiegels verantwortlich. Der Thwaites Gletscher wird manchmal auch „Gletscher des Weltuntergangs“ genannt – weil Wissenschaftler:innen befürchten, dass es nicht mehr zu verhindern sein könnte, dass er durch das Abschmilzen vollständig ins Meer rutscht. Schon lange warnen Wissenschaftler:innen darum mit Hinblick auf die beiden Gletscher, dass diese Region der Antarktis einen Kipppunkt erreichen könnte, also einen Rückzug des Eis, von dem sich die Gletscher nicht mehr erholen würde. Ein Abschmelzen des Eises am Pine-Island-Gletscher oder Thwaites Gletscher in diesem Ausmaß könnte zu einem Kollaps der gesamten Eisdecke in der westlichen Antarktis führen. Denn die Gletscher fungieren als eine Art „Bremsklotz“, die das antarktische Eisschild zurückhalten. Wenn sie wegfallen, könnte das daher einen Anstieg des globalen Meeresspiegels um ca. drei Meter bedeuten.
Aber was genau bedeutet das für uns, wenn der Meeresspiegel um drei Meter steigt?
In Europa liegen die am stärksten durch den Meeresspiegelanstieg gefährdeten Gebiete im östlichen England, an den Nordseeküsten der Niederlande, Belgiens, Deutschlands und Dänemarks, in der Poebene Italiens und an den südlichen Ostseeküsten. So liegt beispielsweise ein Drittel des Gebiets der Niederlanden unter dem Meeresspiegel. Verheerende Flutkatastrophen in der Vergangenheit haben dazu geführt, dass die Niederlande ihre Deiche stark ausbauen und verstärken. Doch die Entwicklungen in der Antarktis sorgen für Unsicherheit, denn die Deiche könnten nicht ausreichen, wenn der Meeresspiegel schneller ansteigt, als erwartet. Weil die Anpassung an einen schneller steigenden Meeresspiegel immer schwieriger und aufwändiger wird, plädiert beispielsweise Glaziologe Michiel Helsen, Dozent an der Hochschule Rotterdam, für eine Debatte, an welchem Teil des Landes festgehalten werden soll und zu welchem Preis. Bereits bei einem Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter wären in Europa 13 Millionen Menschen betroffen – und je höher der Meeresspiegel steigt, umso größer die Ausmaße der Folgen. 85% der Küstenzone der Niederlande und Belgiens, ca. 50% der Küstengebiete Deutschlands, 30% der von Dänemark und 22% derjenigen Polens liegen unterhalb von 5 m über dem Meeresspiegel. Forscher:innen gehen davon aus, dass das Abrutschen des westantarktischen Eisschildes Hamburg beispielsweise unter Wasser setzen würde.
Einem Meeresspiegelanstieg von ca. einem Meter bis 2100 können europäische Staaten durch Küstenschutzmaßnahmen wie Deichbau oder Vorspülen von Sand (Anhäufung von Sand in den Küstengebieten) begegnen. In einigen Gebieten jedoch und bei einem höheren Meeresspiegelanstieg kann es dazu kommen, dass Menschen umgesiedelt werden müssen.
Schon jetzt müssen Menschen umsiedeln
Für die Menschen auf der Pazifikinsel Vanuatu (Fidschi) ist diese Erfahrung bereits bittere Realität. Schon seit 2006 wurden Küstenbewohner:innen umgesiedelt, weil der ansteigende Meeresspiegel Schutzwälle zerstörte und Dörfer überflutete. In den kommenden Jahren werden vermutlich weitere 100 Dörfer umgesiedelt werden müssen. Der Meeresspiegelanstieg bedeutet nicht nur den Verlust des Zuhauses und des Landes, sondern bringt überdies auch Probleme für z.B. die Ernährungs- und Trinkwassersicherheit mit sich. Denn der ansteigende Pegel führt zur Überschwemmung von Äckern und versalzt das Trinkwasser. Zudem kann die Umsiedlung auch zu Konflikten zwischen Alteingesessenen und den Umgesiedelten führen. Nicht nur Vanuatu, sondern auch die Malediven, die Marshall Inseln, Tuvalu und weitere Inseln im pazifischen Ozean, aber auch in der Karibik, in Teilen des atlantischen und des indischen Ozeans liegen nicht mehr als 2 m über dem Meeresspiegel und sind daher extrem gefährdet.
Auch in China, Bangladesch und Indien ist der ansteigende Meeresspiegel bereits zu spüren – vor allem durch die Versalzung von Trinkwasser. 10% des Staatsgebiets Bangladesch liegt nur ein Meter über dem Meeresniveau und das Land ist von zahllosen Flüssen durchzogen. So drohen auch hier, in dem Land, das gerade einmal 0,06% zu den globalen Treibhausgasemissionen beiträgt, weitreichende Überschwemmungen.
Auf dem afrikanischen Kontinent ist vor allem Ägypten mit dem Nildelta betroffen, welches zwar nur 2,3 % der Fläche Ägyptens einnimmt, aber 46 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche und 50 % der Bevölkerung des Landes umfasst. Schon bei einem Meeresspiegelanstieg um 50 cm würde die Versalzung des Grundwassers um 9 km landeinwärts vordringen. Bei einem Anstieg von 1 m wären 10 % der Bevölkerung und 12,5 % der Agrarfläche Ägyptens betroffen. Die Folgen für die Menschen des Nildeltas wären der Verlust von Arbeitsplätzen und Umsiedlungen im größeren Stil. Auch Teile der Küste Westafrikas und am Golf von Guinea, z.B. in Gambia, Gabun und Nigeria sind schon bei einem Meeresspiegelanstieg von 0,5 m und mehr bedroht, ebenso wie die Küsten von Mosambik, Kenia und Somalia.
Umsiedlung von Menschen ist immer mit enormen Belastungen für die betroffenen Menschen verbunden und sollte daher nicht als Anpassungsmaßnahme an die Folgen der Klimakrise betrachtet werden. Dennoch sehen wir bereits jetzt, dass sie nicht gänzlich zu vermeiden ist. Durch den ansteigenden Meeresspiegel müssen mehr und mehr Menschen ihr Zuhause verlassen, zum Teil sogar fliehen. Dies bringt sie in eine risikoreiche Situation, denn bisher gibt es keine weithin anerkannten völkerrechtlichen Regelungen zum Status von sogenannten Klimaflüchtlingen, die ihnen einen rechtlichen Status und Schutz zuspricht.
Kipppunkte des Pine-Island-Gletscher erreicht?
Was also erwartet uns in der nahen Zukunft? Welchen Anstieg des Meeresspiegels werden wir und unsere Kinder erleben? Auf welche Folgen müssen wir uns einstellen? Insbesondere die Rolle der Gletscher im Eisschild der westlichen Antarktis hat dazu beigetragen, dass es schwer ist, genau vorauszusagen, ob es bei dem vom IPCC bisher prognostizierten Meeresspiegelanstiegs von ca. 98 cm bleiben wird oder ob es durch den Kollaps des Eisschildes zu einem sprunghaften Anstieg kommen könnte. Wissenschaftler:innen der Northumbria University haben nun in einer Studie gezeigt, dass es konkrete Punkte gibt, die dazu führen können, dass der Pine-Island-Gletscher kippt. Dazu gehört die Erwärmung der Ozeantemperatur um 1,2°C als dritter und letzter Kipppunkt, der dazu führen würde, dass das gesamte westantarktische Eisschild kollabiert. Aktuell liegt die Oberflächentemperatur der Ozeane im globalen Durchschnitt laut der National Oceanic and Atmospheric Administration (2019) bereits um ca. 0,77 °C über dem Durchschnitt des vergangenen Jahrhunderts. Durch veränderte Winde in der Amundsensee und der Erwärmung des zirkumpolaren Tiefenwassers, eines der drei Hauptströme im Südpolarmeer, ist das Eis des Gletschers schon jetzt über längere Zeiträume wärmeren Gewässern ausgesetzt. Die antarktische Halbinsel gehört zu den Regionen der Erde, in denen die Temperatur am schnellsten zunimmt. Schon jetzt ist es dort im Durchschnitt 3°C wärmer als noch vor 50 Jahren.
Auch wenn die Wissenschaft weiterhin daran arbeitet genau vorauszusagen, wie sich der Meeresspiegelanstieg entwickeln wird, eines ist bereits deutlich: Wie stark der Meeresspiegel ansteigt, wird davon beeinflusst, wie viele Emissionen wir noch ausstoßen und auch der Zeitpunkt und die Ausbreitung von CO2 spielen eine Rolle. Das bedeutet: Je früher wir unsere Emissionen senken, umso besser lässt sich der Meeresspiegelanstieg begrenzen, so Prof. Gregory vom Projekte SEACHANGE. Die bereits ausgestoßenen Emissionen haben bereits zur Folge, dass der Meeresspiegel – selbst wenn die CO2-Konzentration sich stabilisiert und sich die globale mittlere Oberflächentemperatur innerhalb von Jahrzehnten einpendeln würde – noch Jahrhunderte lang weiter ansteigen wird. Zugleich aber werden in naher Zukunft ergriffene Maßnahmen noch sehr lange Zeit spürbar bleiben und einen Unterschied machen.
Zur weiteren Information:
- Eine Karte, die zeigt, wie sich der globale Meeresspiegelanstieg auf Küstenregionen auswirkt ist hier zu finden.
- Bericht über die Umsiedlungen auf Vanuatu.
- Zur aktuellen Studie über die Kipppunkte des Pine-Island-Gletschers.
Die Aussage „.. bisher prognostizierten Meeresspiegelanstiegs von ca. 980 cm bleiben wird…“ ist sicher falsch, vermutlich sind 98cm gemeint
Die Frage ist nicht, ob und dass das alles stattfindet, wie beschrieben, sondern wie wir die Spezies zur Vernunft bringen. Was tun, um Menschen von der Notwendigkeit des Handelns zu überzeugen, solange sie nicht direkt betroffen sind? Die Zukunft ist nur ein Wort. Wir müssen Szenarien auf den Tisch bringen. Aber auch das genügt nicht. Nur eine weltweite Bewegung wie Fridays for Future wird den nötigen Einfluss erzeugen, wenn sie 1) noch viel größer wird und 2) den Schulstreik radikaler durchführt. Die nötige Einigkeit ist unter Jüngeren realistischer als im Rest der Bevölkerung, und den Jungen nimmt man eher ab, was sie sagen, weil sie den Älteren die Schamröte ins Gesicht treiben. Von denen erwartete man Kompromisslerei und Konformismus; von den Jüngeren nicht. Ihnen steht Radikalität gut zu Gesicht. Die Älteren lacht man aus.