Offener Brief an die Außenministerin Annalena Baerbock

Liebe Frau Außenministerin Annalena Baerbock, 

Es ist nicht leicht zu beschreiben, mit welcher Anspannung diese 27. UN-Weltklimakonferenz in Ägypten beginnt. Wir, junge deutsche Klimaaktivist:innen, die an der Klimakonferenz teilnehmen, blicken besorgt auf die Rolle Deutschlands bei der COP. Nun wenden wir uns mit einem Aufruf an Sie.

Das letzte Mal, als die ganze Welt auf Ägypten blickte, waren junge Menschen der Auslöser, die es wagten, für eine bessere Welt zu kämpfen. In unglaublichen Zahlen gingen die Menschen 2011 für “Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit” während des arabischen Frühlings auf die Straßen. Nach 18 Tagen Proteste trat der Diktator Hosni Mubarak nach 30 Jahren Herrschaft zurück. 

Nun blickt die Welt erneut auf Ägypten. Auf Imagefilmen zur Klimakonferenz zeigt sich das Land als ökologischer Vorreiter, mit großen Ankündigungen wird insbesondere die Jugend willkommen geheißen, alles soll sicher sein, alles grün, alles frei.

Was das ägyptische Regime nicht möchte, ist, dass genau hingeguckt wird. Dass die internationale Öffentlichkeit versteht, dass weder Klimaschutz noch Menschenrechte hier willkommen geheißen werden. Während die Weltdiplomatie am abgeriegelten Urlaubsort Sharm El-Sheikh verhandelt, sitzen laut Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen Zehntausende Menschen in Ägypten in politischer Gefangenschaft. Dahinter steht Machthaber Abdel Fatah el-Sisi, der sich nur zwei Jahre nachdem die jungen Menschen in Ägypten 2011 für ihre Freiheit aufstanden, an die Macht putschte. Seitdem baut er Ägypten zu einem Land um, das viele Ägypter:innen heute „Republik der Angst“ nennen. Zahlreiche Berichte bringen Sicherheitskräfte des Regims mit außergerichtlichen Tötungen und Folter von Gefangenen in Verbindung. Kaum ein Menschenrecht wird in Ägypten nicht verletzt, Pressefreiheit gibt es nicht, wer el-Sisi kritisiert, wird eingesperrt. 

Einer der Menschen, die den Großteil der letzten 11 Jahre im Gefängnis verbringen musste, ist der britisch-ägyptische Aktivist und Autor Alaa Abd El-Fattah. Er gilt als eine der wichtigsten Stimmen der Proteste 2011 und der organisierten Zivilgesellschaft, heute ist er für seine Ideen und Worte eingesperrt. Viele Organisationen, tausende Menschen, Stimmen aus der ganzen Welt haben sich für die Freilassung von Alaa ausgesprochen, seine Schwestern kämpfen unermüdlich für ihn weiter. 

Im April diesen Jahres ist Alaa in einen Hungerstreik gegen seine Haftbedingungen getreten. Mit dem Beginn der Weltklimakonferenz plant er nun auch in einen Durststreik zu treten. 

Alaa wird im Laufe der Weltklimakonferenz höchstwahrscheinlich sterben. Es sei denn, er wird freigelassen.

Ägypten möchte sich bei dieser Konferenz nicht nur “grün”, sondern auch “gerecht” waschen. “Grün”, in dem es sich als klimafreundlich und plastik-bewusst darstellt, während unabhängige Organisationen Ägyptens Klimabemühungen als “höchst unzureichend” einordnen. Es gibt keine ägyptischen Klimaziele für das Jahr 2050, das Land plant die massive Expansion von Großprojekten und während die Weltgemeinschaft die Emissionen bis 2030 zu halbieren plant, möchte Ägypten die eigenen Emissionen massiv erhöhen.

“Gerecht”, in dem man alles dafür tut,  dass Alaas Stimme nicht durchdringt. Dieses Jahr wird es das erste Mal einen “Kinder und Jugend” Pavillon geben, der jungen Stimmen eine Bühne geben soll, während viele der jungen Menschen, die Ägypten einst verändert haben, vom Regime zum Schweigen gebracht wurden. 

Die Klimakonferenz in Sharm El-Sheikh gilt schon jetzt als eine der repressivsten Klimakonferenzen aller Zeiten. Das ägyptische Regime hat keiner einzigen regierungskritischen Organisation aus Ägypten Zugang zur Konferenz gewährt. Als deutsche Aktivist:innen, mit einem „privilegierten“ Reisepass müssen wir weit weniger Repressionen fürchten als andere. Aber auch für uns gilt, dass wir auf der Klimakonferenz höchstens geduldet sind – das Recht auf Versammlung ist bei der COP27 quasi nicht vorhanden, die Zivilgesellschaft wird systematisch aus Sharm El-Sheikh ausgeschlossen, während der Konferenz wird es eine einzige, eingeschränkte Zone geben, in der ziviles Mobilisieren möglich sein soll. 

Dennoch sind wir nach Sharm El-Sheikh zur Klimakonferenz gekommen. Wir wollen hingucken und alles dafür geben, damit die Stimmen aus der Welt, die Gerechtigkeit fordern und Menschenrechte verteidigen, gehört werden. 

Es ist lang bekannt, dass die Klimakrise die größte Menschenrechtsverletzung aller Zeiten ist. Klimaschutz und Menschenrechte gehören aber auch umgekehrt zusammen: Menschenrechte die Diktator el-Sisi mit aller Macht unterdrückt, wie das Recht auf Versammlung, auf freie Meinungsäußerung, auf Pressefreiheit, sind fundamental für die Möglichkeiten, überhaupt noch Klimaziele zu erreichen. Ohne den Druck aus der Gesellschaft, ohne dass sich Menschen frei organisieren und Lösungen erarbeiten können, wird es keine Klimagerechtigkeit geben. Auch das ist die Lehre der letzten 30 Jahre, in der Klimaverhandlungen endlos viele Versprechen gemacht wurden, während die Klimazerstörung Jahr für Jahr zunahm. 

In einem unfreien, menschrechtsfeindlichen Land, soll in diesen Wochen über eine Krise verhandelt werden, in deren Kern Menschenrechte stehen. Das ägyptische Regime möchte daraus ein Schauspiel machen. Das zu verhindern, liegt an demokratischen Regierungen und an der Zivilgesellschaft überall.

Deutschland und die Bundesregierung stehen hier in einer unvergleichlichen Verantwortung. Da sind die engen wirtschaftlichen Verpflichtungen – einer der Hauptpartner der ägyptischen Energieversorgung mit Erdgas ist Siemens Energy, Ägypten ist gleichzeitig einer der größten Empfänger deutscher Entwicklungsgelder. Da sind die Waffen – die drei Jahre vor dem Ukrainekrieg, wurden in kein Land so viele Waffen exportiert, wie nach Ägypten. Und da sind die Werte. Die Verbundenheit zu Demokratie und Freiheit beweist sich dort, wo es konkret wird. Und dort, wo die Verteidigung der Menschenrechte einen Preis hat. Die Versprechen der deutschen Außenpolitik von einer “Werte geleiteter Außenpolitik” stehen und fallen auch mit dem konkreten Auftreten gegenüber Ägypten auf dieser Klimakonferenz. 

Aus dem Gefängnis heraus hat sich Alaa auch zum Klima geäußert. Zuletzt schrieb er, anscheinend, in einem verlorenen Brief über seine Trauer angesichts der Fluten in Pakistan. Aus dem ägyptischen Gefängnis heraus, all seiner Rechte beraubt, sieht er die Welt klarer, als so viele andere. 

Die Klimakonferenz in Ägypten droht ein moralisches Desaster zu werden. Aber noch ist es nicht zu spät. Noch ist offen, mit wie viel von dem Greenwashing und dem Gerechtigkeits-washing, das ägyptische Regime durchkommen wird. Und welche Signale das an gleichgesinnte Staaten auf der ganzen Welt senden wird.

Bei der COP27 können – womöglich so wirksam wie nie – Zugeständnisse von el-Sisi und seinem Regime erwirkt werden. In einer Sammlung seiner Texte schreibt Alaa: “Alles, was von uns verlangt wird, ist, dass wir nicht aufhören, für das Richtige zu kämpfen.“ Als deutsche Klimaaktivist:innen bei der COP27 fordern wir Sie auf:

Fordern Sie die Freilassung von Alaa und den weiteren politischen Gefangenen und machen Sie deutlich, dass ein Tod von Alaa keinen regulären Verlauf der COP mehr zulassen würde. Kämpfen Sie für das Richtige, Frau Baerbock. 

Gezeichnet

Helena Marschall, Fridays For Future

Luisa Neubauer, Fridays For Future

Florian König, Fridays For Future

Patricia Islam-Parsons, Fridays For Future

Eva Julie Marsland, Fridays For Future

Annika Kruse, Fridays For Future 

Louis Motaal, Fridays For Future 

Line Niedeggen, Fridays For Future 

Undine Fleischmann, NAJU

Jan Göldner, NAJU

Carla Kienel, NAJU

Roman Sieler, FIMCAP Europa

Jamir Priesner, Klimaaktivist 

Tobias Holle, Klimadelegation e.V.

Romie Niedermeyer, Klimadelegation e.V.

Melissa Jäckel, Klimadelegation e.V.

Niklas Wagner, Klimadelegation e.V.

Bea Albermann, Health For Future

Julian Zuber, Germanzero 

Daniela Ordowski, Katholische Landjugend 

Josef Hartl, Katholische Landjugend

Emelie Schuster, Klimaaktivisitin 

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1 Gedanke zu “Offener Brief an die Außenministerin Annalena Baerbock

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