Die Ampelkoalition schlägt auf den Klimaschutz ein, wie auf einen Boxsack. In den vergangenen Wochen hat sie gleich zwei essentielle Gesetze für die deutschen Klimaziele entkernt. Das Heizungsgesetz ist nur noch ein Schatten seiner selbst und ermöglicht noch viele Jahre fossiles Heizen. Das Klimaschutzgesetz ist durch die de facto Abschaffung der Sektorziele um sein Herzstücks beraubt. Was das für die deutschen Klimaziele bedeutet, welche Rolle Olaf Scholz dabei spielt und wie es jetzt weitergeht, erfahrt ihr hier.
Das Klimaschutzgesetz
Am Mittwoch, den 22. Juni 2023, hat das Bundeskabinett eine neue Version des Klimaschutzgesetzes verabschiedet. Was genau drin steht und warum Volker Wissing vom Kanzler den Freifahrtschein zur Klimablockade bekommen hat?
Das Wichtigste auf einen Blick:
- Das Klimaschutzgesetz ist das Fundament des Klimaschutzes. Darin ist festgelegt, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral sein soll
- Die Ampel hat beschlossen, die Sekorziele zur Reduktion der Emissionen de facto abzuschaffen. Das bedeutet, dass die Verantwortung der Minister für die Emissionen aus ihrem eigenen Ressort aufgeweicht wird
- Verpflichtende Sofortprogramme in Bereichen, die ihre Ziele verfehlen, entfallen in Zukunft
- Kurskorrekturen soll es in Zukunft erst geben, wenn die Gesamtemissionen die Klimaziele zwei Jahre in Folge verfehlen
- Parallel zum Klimaschutzgesetz hat die Ampel ein Klimaschutzprogramm vorgestellt, das konkrete Maßnahmen beinhaltet. Das Programm entspricht allerdings nicht den Anforderungen des Gesetzes, denn es bringt nur rund 70 % der bis 2030 erforderlichen Minderung
Rückblick – der Berg kreißte und gebar ein Mäuslein
Der Jubel war groß, als die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel 2019 das deutsche Klimaschutzgesetz beschloss. Zugegeben, der Jubel kam vor allem aus den eigenen Reihen. Der damalige Finanzminister Olaf Scholz nannte das Gesetz einen “großen Wurf”, die gesamte Koalition strotzte nur so vor Selbstzufriedenheit.
Das Bundesverfassungsgericht zeigte sich später hingegen weniger begeistert und erklärte das Gesetz nach einer Klage von Fridays for Future für “teilweise verfassungswidrig”. Die Große Koalition kam ins Schwitzen: sie musste nachbessern.
Alles tanzt nach Wissings Pfeife
Seit zwei Jahren hat die Ampel jetzt die Zügel im Kanzleramt übernommen und sich als Ziel gesetzt, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen. Bis 2030 sollen die Emissionen von Treibhausgasen gegenüber 1990 um 65% sinken. Das klingt erst einmal gut, ist aber nicht mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar, da Deutschland bereits zehn Jahre früher als geplant klimaneutral sein muss, um die 1,5°C-Grenze einzuhalten. Und ein weiteres Problem hat sich in der Regierung aufgetan: In mehreren Bereichen wurden die gesteckten jährlichen Ziele noch nie eingehalten. Für diesen Fall sieht das ursprüngliche Klimaschutzgesetz ein verpflichtendes Sofortprogramm vor, mit dem der entsprechende Sektor nachsteuern muss. Ein ziemlich scharfes Schwert eigentlich, mit dem unmotivierte Minister zur Arbeit angehalten werden. Das trifft besonders den Bundesverkehrsminister Wissing von der FDP, der in diesem Jahr das zweite Mal in Folge seine Ziele krachend verfehlt und sich bis jetzt geweigert hat, ein angemessenes Sofortprogramm aufzulegen. Der Verkehrssektor ist schon seit langem ein Sorgenkind im Klimaschutz: Es ist der Bereich, in dem sich in den letzten Jahrzehnten am wenigsten getan hat, und wo der Weg zur Klimaneutralität noch am weitesten ist.
Die Ampelregierung musste sich dem Thema also annehmen und hat es im März auf die Tagesordnung des Koalitionsausschusses gesetzt. Wie zu erwarten hat sich die FDP gegen mehr Klimaschutz gestemmt, die Grünen waren hingegen dafür, haben sich aber nicht durchgesetzt. In einem 36-stündigen Verhandlungsmarathon schlägt Kanzler Scholz schließlich vor, das Klimaschutzgesetz so zu entschärfen, dass die einzelnen Sektoren ihre jährlichen Ziele nicht mehr einhalten müssen. Damit muss auch kein Sofortprogramm mehr aufgelegt werden, wenn ein konkreter Bereich seine Ziele reißt. Bestehen bleibt nur noch das Gesamtziel aus allen Bereichen zusammen, und auch wenn das verfehlt wird, müssen erst nach zwei Jahren Maßnahmen zur Kurskorrektur ergriffen werden. Mit diesem Vorschlag legt Scholz also die Axt an sein eigenes Gesetz, das er unter der Großen Koalition noch als Erfolg der SPD verkauft hat. Experten werten das als fatalen klimapolitischen Rückschritt, die Deutsche Umwelthilfe bezeichnet die Entkernung als “Rechtsbruch”. Und unterm Strich ist es ein klares Geschenk an den Verkehrsminister Volker Wissing, der jetzt das eigene klimapolitische Versagen nicht mehr korrigieren muss. Zuletzt hatte Olaf Scholz ihm ganz offiziell den Freifahrtschein erteilt, kein Sofortprogramm mehr vorstellen zu müssen, obwohl das Gesetz noch immer nicht endgültig beschlossen ist.
Klimaschutz – die anderen sollen mal machen
Mit gequälten Gesichtern versucht die Spitze der Grünen nun vor der Presse, diese Klatsche schönzureden und beruft sich darauf, dass sich die verschiedenen Sektoren in Zukunft untereinander helfen könnten. Das Problem dabei: Die anderen Sektoren haben gar nicht den Spielraum, um die Zielverfehlung eines Verkehrsministers Wissing aufzufangen. Ohne klar geregelte Verantwortung in Sachen Klimaschutz fühlt sich also am Ende niemand verantwortlich. Die Regierung selbst erklärt, dass in Zukunft gemeinsam darüber entschieden werde, wer wo wie viel einspart. Wir dürfen uns also getrost auf weiteres zähes Armdrücken zwischen den Koalitionspartnern einstellen. Ob das überhaupt noch die aktuelle Koalition betrifft, ist allerdings alles andere als sicher. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die nächste Kurskorrektur erst im Jahr 2025 anstehen, also mitten im Bundestagswahlkampf. Gut möglich also, dass sich erst die folgende Bundesregierung mit dem Thema auseinandersetzen muss. Das wäre ein weiteres Zeichen dafür, dass diese einst als Fortschrittskoalition angetretene Ampel ihren klimapolitischen Anspruch für diese Legislatur komplett aufgegeben hat.
Wie es jetzt weitergeht
Dennoch sind in Sachen Klimaschutzgesetz noch keine endgültigen Fakten geschaffen. Die Gesetzesnovelle muss nämlich noch durch den Bundestag und dort ist mit Entscheidungen erst nach der Sommerpause zu rechnen. Wir können also noch Druck aufbauen, der bei vielen Abgeordneten auf offene Ohren stoßen könnte. Der Unmut ist groß über das entkernte Gesetz bei einigen Parlamentariern der SPD und CDU. Aus ihrer Sicht ist ein Stück ihres Erbes aus der großen Koalition der Ampel-Blockadehaltung zum Opfer gefallen
Gleichzeitig mehren sich die Anzeichen dafür, dass die Entkernung des Klimaschutzgesetzes Teil eines Deals mit der FDP war: Die Grünen sollten ein Heizungsgesetz für die Wärmewende bekommen, dafür aber das Klimaschutzgesetz zum Abschuss freigeben und zum zahnlosen Papiertiger zurückstutzen. Offenkundig werden Konflikte in dieser Koalition routinemäßig auf Kosten einer lebenswerten Zukunft ausgetragen.
Genau das wird dem Klimaschutz jetzt zum Verhängnis, weil selbst das versprochene Gesetz zur Wärmewende bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde
Das Gebäude-Energie-Gesetz
Was ist das Heizungsgesetz und wie ist der aktuelle Stand?
Jede Minute wird in Deutschland eine neue fossile Heizung eingebaut, schätzungsweise sechshunderttausend pro Jahr. Über die Hälfte der Heizungen in Deutschland sind aktuell fossil und ein gewaltiger Lobby-Apparat steht dahinter. Das Gebäude-Energie-Gesetz soll als zentraler Baustein der Wärmewende dienen. Die Bundesregierung hat beschlossen, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen. Da Heizungen Laufzeiten von mehreren Jahrzehnten haben, braucht es also spätestens jetzt einen Einbaustopp fossiler, klimaschädlicher Heizungen. Mit der aktuellen Überarbeitung des Heizungsgesetzes sollte genau das geregelt werden. Eigentlich. Mit der Überarbeitung des ursprünglichen Vorschlags, die am 13.06. vorgestellt wurde, ist es nun nämlich völlig entkernt und verwässert worden. Doch was steht drin?
Ab 2024 soll für neue Heizungen ein Anteil von mindestens 65% Erneuerbarer Energien gelten. Ursprünglich war das Gesetz für verschiedene Technologien vorgesehen, allen voran aber die Wärmepumpe, da diese im Regelfall besonders energiesparend ist. Allerdings wurden Eckpunkte des Gesetzes durchgestochen und dadurch eine breite Schmutzkampagne der Springer-Presse, FDP und CDU losgetreten, flankiert von einer einflussreichen Gaslobby.
Die Stimmung in der Gesellschaft ist gekippt, ein eher technokratisches Gesetz wurde zum Kulturkampf eskaliert. Ein regelrechter Überbietungswettbewerb setzte ein, CSU-Politiker sprechen von „Energie-Stasi“ und die Bild Zeitung wirft mit reißerischen Alliterationen von “Habecks Heizungs-Hammer” um sich.
Ein krasser Kontrast zu den real immer stärker verwässerten Vorhaben der Regierung: De facto erlaubt die jetzige Fassung den Einbau fossiler Gasheizungen noch über Jahre hinaus. Auch Heizungen, die mit Pellets und Wasserstoff laufen, wurden zu “grünen” Alternativen erklärt. Im neuen Entwurf gilt die Deadline 2024 nur noch für einen Bruchteil der Gebäude. Konkret soll das Gesetz vorerst nur Neubauten in Neubaugebieten treffen, wo ohnehin schon mit überwältigender Mehrheit Wärmepumpen verbaut werden. In allen anderen Gebäuden dürfen weiter fossile Gasheizungen eingebaut werden. Voraussetzung dafür ist deren Wasserstoff-Fähigkeit, was auf nichts anderes hinausläuft, als eine hypothetische Möglichkeit, die Heizung für den Betrieb mit Wasserstoff umzubauen. Dazu wäre nahezu jede aktuelle Gasheizung fähig, was Tür und Tor dafür öffnet, fossile Heizungen noch bis 2045 weiterzubetreiben. Das ist weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll. Denn es wird dabei bewusst unterschlagen, dass dieser Wasserstoff auf absehbare Zeit nicht breit verfügbar ist und unser Gasnetz hohe Beimischungen von Wasserstoff nicht ermöglicht.
Dadurch werden langfristige fossile Lock-Ins geschaffen und das Märchen der Wasserstoff-Heizung droht krachend an der Realität zu zerschellen. Die Leidtragenden dieser Entwicklung sind am Ende Verbraucher*innen, die heute durch bewusste Irreführung der Öffentlichkeit noch eine alte fossile Heizung kaufen. Tatsächlich verzeichnen die Verkaufszahlen aktuell einen regelrechten Run auf Öl- und Gasheizungen, der vermutlich durch die befeuerte Angst vor der Wärmepumpe entsteht. Durch stetig steigende Preise fossiler Energien drohen Verbraucher*innen innerhalb kürzester Zeit finanziell überfordert zu werden.
Unter dem Deckmantel der Technologieoffenheit wird in Zukunft sogar noch eine ganze Reihe anderer klimaschädlicher Energiequellen zugelassen. Darunter auch Biomasse- und Pelletheizungen, deren Brennstoff oft weite Transportwege zurücklegen muss und im schlimmsten Fall dazu führt, dass intakte Wälder global weiter abgeholzt werden.
Und jetzt?
Das Heizungsgesetz ist in seiner aktuellen Form nur noch ein Schatten seiner selbst und kein wirksames Mittel für Klimaschutz mehr. Der Wärmesektor wird so seine Klimaziele nicht einhalten können und die Wärmewende ist de facto auf 2028 vertagt. Viele europäische Nachbarländer beobachten die Entwicklungen in Deutschland gerade mit Fassungslosigkeit, weil es dort schon seit Jahren klare Verbote von fossilen Heizungen gibt, wie beispielsweise in Dänemark, wo ein Einbaustopp schon seit 2013 gilt. Einer breiten Front der Verhinderer aus Parteien wie FDP und CDU, der Springer-Presse und einer einflussreichen fossilen Gaslobby ist es gelungen, die Debatte zum Kulturkampf zu eskalieren. Statt einen klaren Fahrplan vorzulegen, wie der Wärmesektor transformiert werden kann, und sowohl Bürger als auch Industrie und Handwerk darauf vorzubereiten, halten sie lieber an einem längst veralteten Geschäftsmodell fest. Unter dem Strich werden fossile Lock-ins ermöglicht, Transformationspfade gesprengt und der 1,5°C-konforme Ausstieg aus den fossilen Energien verunmöglicht.
Trotzdem ist das Gesetz noch nicht in Stein gemeißelt, solange es noch nicht im Bundestag beschlossen wurde. Gerade die Abgeordneten von SPD und Grünen müssen jetzt noch auf klimagerechte Anpassungen im Heizungsgesetz drängen, dessen aktueller Kurs einen klima- und sozialpolitischen Totalschaden verkörpert.
Für uns steht fest: Die bisherige fossile Lethargie der Ampel können wir uns nicht weiter gefallen lassen, täglich wächst die Notwendigkeit für uns Menschen, die Stimme zu erheben und klarzustellen, dass es so nicht weitergehen kann.