Vor einem Jahr haben wir unsere Forderungen für den Klimaschutz vorgestellt. Ein Jahr später zieht Lucia Parbel, eine der Koordinator:innen hinter den Forderungen, Bilanz.
Am 8. April 2019 standen meine beiden Mitstreiter:innen Lucie, Tom und ich früh auf. Um halb sechs klingelte uns der Wecker aus dem Schlaf, denn um sieben Uhr mussten wir im Museum für Naturkunde sein, um uns mit dem restlichen Team zu treffen. Gemeinsam würden wir die Pressekonferenz koordinieren, auf die wir seit Monaten hingearbeitet hatten: Unsere Forderungen an die Politik sollten an diesem Tag öffentlich werden. Im Museum angekommen blieben wir kurz etwas verloren vor dem riesigen Brachiosaurus stehen. Einschüchternd kam mir unsere Kulisse für das Verlesen der Forderungen in diesem Moment vor.
Symbolisch fanden ihn viele Medienvertreter:innen – die Süddeutsche Zeitung brachte am nächsten Tag ein Titelfoto mit den vier Verlesenden und dem Skelett im Hintergrund. Sie war nicht das einzige Medium, das dieses Bild aufgriff. Das hat geklappt.
Diese Parallele zwischen dem Aussterben der Dinosaurier vor Millionen von Jahren und dem Massenaussterben, das die Menschheit ausgelöst hat, haben alle verstanden. Nettonull 2035 allerdings, unsere zentrale Forderung, die hat niemand auf Anhieb verstanden.
Es gab sogar professionelle Erklärvideos dazu, was den Unterschied zwischen Klimaneutralität und Nettonull ausmacht: Ersteres bezeichnet einen Zustand von Null Treibhausgasausstößen, letzteres die weitest mögliche Reduktion dieser, wobei man auf Ausgleichsmaßnahmen wie Baumpflanzungen im großen Stil setzt. Das ist realistisch, Klimaneutralität hingegen nicht, sagten die Wissenschaftler:innen, die uns beim Erstellen der Forderungen berieten.
Bis heute scheint diese Unterscheidung nicht durchgedrungen zu sein zu den Entscheider:innen in dieser Gesellschaft. Stattdessen werden die Begriffe wild durcheinander geworfen: Politiker:innen und Unternehmen wetteifern darum, wer sich ein ehrgeizigeres Ziel auf die Flagge schreibt – Nettonull 2040, klimaneutral bis 2035! Dabei sollten sie demokratisch darüber streiten, wer den besten Vorschlag für den Weg dorthin anbieten kann.
Das Klimapäckchen der Bundesregierung war der klägliche Versuch eines solchen Vorschlags. Wobei wir uns angesichts der darin enthaltenen Maßnahmen fragen müssen, wie ernsthaft die Mitglieder des Klimakabinetts tatsächlich versucht haben, sich der Klimakrise anzunehmen. Der veranschlagte CO2-Preis von 25 Euro ist lächerlich – wir fordern eine CO2-Steuer von 180 Euro pro Tonne. Und klimaschädliche Subventionen, zum Beispiel in der Automobilindustrie, der Energie- und der Landwirtschaft, werden nicht einmal erwähnt.
Politiker:innen lassen es dennoch wirken, also kämen sie uns freundlicherweise entgegen, bitteschön, was wollt ihr denn noch – „Politik ist das, was möglich ist.“ Als handele es sich bei unseren Forderungen um vorsichtig vorgetragene private Anliegen – und nicht gar um die größte öffentliche Frage aller Zeiten. Sollte Politik nicht eigentlich das sein, was das Notwendige möglich macht?
Aber wir haben Eindruck hinterlassen. An den Essenstischen zahlreicher Familien wurde über die Klimakrise gesprochen. Zum Jahreswechsel wurde im Kreis der Freund:innen diskutiert, was das neue Jahr klimapolitisch wohl bringen würde. Denn darüber, dass das, was sich das Klimakabinett ausgedacht hat, nicht reichen wird, scheinen sich zu Recht viele einig zu sein. Das ist unser Erfolg, der sich übrigens auch darin zeigt, dass Du gerade unseren Newsletter liest.
Vieles wird möglich, wenn sich ein vernünftiges Krisenbewusstsein in Politik und Gesellschaft verbreitet, wenn Politiker:innen und Bürger:innen auf die Wissenschaft hören und deren Ratschläge ernst nehmen. Das zeigt uns die Coronakrise, die wir gerade gemeinsam durchstehen. Im Sinne der Generationengerechtigkeit werden die richtigen Maßnahmen beschlossen und solidarisch von allen umgesetzt. Das brauchen wir gerade. Wir brauchen dieses Bewusstsein und diese Konsequenz auch für die Eindämmung der anderen Krise, in der wir uns befinden – für die Lösung der Klimakrise.
„We spoke. Act now.“ – Wir haben gesprochen. Es ist an euch, jetzt zu handeln.
Das schrieben wir auf zwei Banner, die wir für die Veröffentlichung der Forderungen 2019 bemalten. Wir sind seitdem nicht verstummt. Im Gegenteil: Wir alle gemeinsam erheben noch immer unsere Stimmen für eine klimagerechte Zukunft. Im Netz und irgendwann auch wieder auf den Straßen. Auch am 24.04. streiken wir – vom Sofa aus.
Wir stehen für eine Zukunft, die maximal 1,5 Grad Klimaerhitzung bereit hält. Wir stehen für eine Gegenwart, in der wir solidarisch mit jenen Menschen sind, für die Klimawandel im Jetzt und Hier stattfindet. Wir stehen für ein sofortiges Ende der fossilen Subventionen, für das sofortige Abschalten von einem Viertel der Kohlekraft, für die augenblickliche Einführung einer CO2-Steuer von 180 Euro pro Tonne. Für einen Kohleausstieg bis 2030, für einhundert Prozent erneuerbare Energieversorgung bis 2035 und für Nettonull bis 2035.
Und ihr steht hier noch immer mit uns. Danke!