Aufstieg und Fall des Augsburger Klimacamps

(Anspielung auf: Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny von Bertolt Brecht. *10.02.1898 Augsburg)

Freitag, 17:50 Uhr

Seit gut einer halben Stunde sitzen rund 50 Aktivisti auf dem Kopfsteinpflaster neben dem Augsburger Rathaus. Die Sonne neigt sich langsam und brennt den Menschen im Nacken. Der Perlachturm schlägt 18:00 Uhr und die Anspannung steigt deutlich. Wenige Stunden zuvor hatte es einen Bescheid gegeben: Das Augsburger Klimacamp, welches zu dem Zeitpunkt bereits seit zwei Wochen bestand, soll bis abends um 18:00 Uhr geräumt werden. Anderenfalls könnte es zu einer Zwangsräumung kommen. Ein Polizeiwagen fährt vor.

1 216 800 Sekunden zuvor (Dienstag, 22:00 Uhr)

Das Augsburger FFF-Plenum ist sich einig: Es muss etwas gegen das kommende Kohleeinstiegsgesetz unternommen werden! Nach kurzen Überlegungen wird klar: Demos werden der globalen Krise nicht mehr gerecht. . . Wir brauchen eine neue und vor allem stärkere Form des Protests!

Zwei Stunden später ist eine Kundgebung auf dem Parkplatz neben dem Augsburger Rathaus für den Zeitraum von Mittwoch 19:00 Uhr bis „solange es nötig ist“ angemeldet.

Sharepics gehen raus. Alle Augsburger Klimaorganisationen werden informiert. Pavillons, Isomatten, Schlafsäcke, Megafone und Mate werden in den Rucksack gepackt und auf geht‘s zum Rathausplatz.

Schon bald werden wir mit organisatorischen Schwierigkeiten konfrontiert: Anstatt der erwarteten und angemeldeten 10 Menschen waren wir schon am ersten Abend über 70 Personen auf dem Rathausplatz. Da die Polizei mit einer Auflösung der Versammlung wegen der zu hohen Personenanzahl drohte, meldeten wir kurzerhand eine zweite, größere Versammlung an.

Die ersten drei Wochen

In den nächsten Tagen wächst das Klimacamp von einem eher kargen Parkplatz zu einem kreativen Ort des aktivistischen Lebens heran.

Die anfangs eher spartanische Camping-Einrichtung verwandelt sich schnell in eine gemütliche und einladende Camp-Struktur: Pavillons, Sofas, Tische und Schränke für die Küche (teilweise vom Sperrmüll) geben unserem Camp Wohlfühlcharakter. An allen Ecken werden kreative Projekte umgesetzt. So entstehen unter anderem Sprechchöre, Hochbeete, neue Banner und Kreidekunstwerke. Auch die vielen Workshops zu Klimathemen fördern die Kreativität und vor allem den Austausch und das starke Miteinander der Augsburger Klimabewegungen.

Diese Vernetzung der verschiedensten Organisationen ist nicht nur für uns persönlich eine wichtige Erfahrung und Bereicherung, sondern kommt auch unserem gemeinsamen Ziel in Augsburg zu Gute, der Klimagerechtigkeit. Zusammen sind wir stark und können die Politik unter Druck setzen und zum Handeln bewegen.

So zum Beispiel bei der spontanen „Rathausbesetzung“, die in den Medien groß thematisiert wurde. Immer wieder besuchten uns Stadträte aller möglichen Fraktionen und kamen mit uns in ehrliche Gespräche – bis auf die CSU. Nachdem über 24 Stunden vergangen waren, meldeten wir uns nun selbst beim Büro der regierenden Partei. Dort wurden wir jedoch abgewiesen: Man habe keine Zeit für uns. Dies sorgte bei den Aktivisten für Unmut. Schließlich predigte die CSU in den Medien immer ihre Kompromiss- und Redebereitschaft mit uns. Wir betraten also das Rathaus – 5 Minuten vor der eigentlichen Schließung.

Wir wollten nicht gehen bis es zu mindestens einem Gespräch gekommen war. Unser Bleiben im Rathaus sollte dabei den Ernst der Lage erneut betonen. Was dann passierte, damit hatten wir nicht gerechnet: Nach kurzer Zeit wurde das Rathaus von der Polizei umstellt. Wir zählten mindestens 16 Wägen mit jeweils sechs Polizisten. Zudem rückte, wie wir später erfahren durften, die nah stationierte Hundertschaft aus. Das alles für gerade einmal 30 jugendliche Aktivist*innen. Doch es kam nicht nur die Polizei. Neben der Polizei stand ebenfalls unsere Oberbürgermeisterin von der CSU, die nun erneut ihre Gesprächsbreitschaft vor der Presse klarstellen wollte. Da das Gespräch jedoch äußerst inhaltslos war, begannen die Aktivist*innen mit einem spontanen Demozug. Dieser wurde jedoch ohne handfeste Begründung von der Polizei eingekesselt. Eine Eskalation der Lage konnte noch verhindert werden. Wegen der Friedlichkeit und Notwendigkeit der Aktion empfinden wir das Polizeiaufgebot als unverhältnismäßig.

Wir suchen aber auch immer wieder Gespräche mit den Stadträt*innen und der Verwaltung, in denen wir die Dringlichkeit unserer Forderungen vermitteln. Wie schon so oft hieß es, dass die Stadtregierung hinter uns und unseren Zielen stehe. Doch diese Versprechen können wir nicht ernst nehmen, da die Ziele im schwarz-grünen Koalitionsvertrag definitiv das 1,5-Grad-Ziel ignorieren.

Das bestätigte auch der weltweit anerkannte Klimawissenschaftler Dr. Peter Klafka, der extra aus Aachen anreiste, um uns und vor allem unsere Stadträt*innen zur lokalen Energiewende zu beraten. Auch das Klimacamp hat in einer anschließenden Podiumsdiskussion mit den Politiker*innen zur Notwendigkeit von schnellen Handlungen des Stadtrats gedrängt.

Besonders von der CSU kam bei der Aufforderung zu schnellen Entscheidungen und Aktionen, die zur Einhaltung der internationalen Klimaziele notwendig sind, Gegenwind.

Die Augsburger Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) hatte schon nach den ersten 10 Tagen die Räumung unseres Camps angedroht, weil uns angeblich der Kundgebungscharakter fehle. Damals bat sie uns die Kundgebung bis 18 Uhr des nächsten Tages zu beenden, da wir „wahrscheinlich vor Gericht sowieso keine Chance hätten“. Auch wurde betont, dass die Aktion unserem Image selbst schaden würde. Dieser Androhung folgte schließlich ein Bescheid der Stadt, in dem uns das Recht unserer Versammlung abgesprochen wurde.

Wir finden, dass wir bereits durch unsere dauerhafte Präsenz unsere Meinung stetig kundtun. Hinzu kommen stündliche Reden und Sprechchören sowie öffentliche Vorträge und Workshops zum Klimawandel.

Deswegen mussten wir auf die Räumungsandrohung schnell reagieren: Mit Hilfe der bundesweiten Rechtshilfe AG und unserer Anwältin haben wir noch am selben Tag Klage gegen den Bescheid erhoben.

So kam es, dass wir am Freitag denn 10. Juli auf die Räumung warteten. Schließlich war uns nicht klar, wie die Polizei mit der Situation umgehen würde.

Als der Polizeiwagen kam, berichteten uns lediglich die Polizist*innen, dass es am heutigen Tag zu keiner Räumung kommen werde. Heute wissen wir, dass die Polizei unsere Kundgebung vorerst nicht räumen wollte und darauf bestand, die Antwort des Gerichts abzuwarten. Hierfür danken wir ihr sehr.

Vor wenigen Tagen lief dann ein Eilverfahren. Wir beendeten gerade unsere Pressekonferenz, als der entscheidende Anruf unsere Anwältin kam: Wir haben dieses gewonnen! (so viel zu unseren Chancen.;))

Mittlerweile haben wir mit unserem Durchhaltevermögen in Medien, in der Politik und bei den Passant*innen auf die Klimakrise und den dringenden Handlungsbedarf aufmerksam gemacht. (Wir sind seit dem 1. Juli da!) Wir bemerken die Veränderungen, wie mit uns und der Thematik umgegangen wird, deutlich. Auch sind die ständige Vernetzung und die interne Weiterbildung ein großer Vorteil des Camps.

Jetzt braucht es Handlungen, dringender denn je: Im Augsburger Stadtrat, aber auch in allen anderen deutschen Städten, Landesregierungen, der Bundesregierung und der ganzen Welt!

Und dazu brauchen wir euch 🙂

Je mehr Klimacamps, desto größer ist der Druck, den die aktuelle Situation erfordert. Schließt euch mit Klimabewegungen eurer Stadt zusammen, packt eure Schlafsäcke und Isomatten und zieht neben euer Rathaus! Seid gespannt! Diese Sache ist groß und wird noch größer! Also sei dabei, wenn wir von unten, über die Kommunen, für mehr Klimagerechtigkeit einstehen.

Liebe Grüße eure Aktivistis aus Augsburg

Ein Bericht von Paula Stoffels, Sarah Bauer und Leon Ueberall

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2 Gedanken zu “Aufstieg und Fall des Augsburger Klimacamps

  1. Noch immer rasen wir mit 200 Km/h auf die „Wand“ zu. Unser Ende! Die Regierungen sitzen am Steuer. Bremsen!!!: „Neeiiin“ Es wird weiter beschleunigt!

    Schmeisst die ganzen Pläne weg und handelt heute unbürokratisch. 2020 (und 2021) muß viel passieren! Nicht erst später.

  2. Ihr Lieben,
    ich finde Euer Engagement für das Klima sehr gut.
    Was mir zu kurz kommt ist der Einfluss der Militärkomplexe weltweit – sie sind nachweislich mit die größten Verursacher von Umweltzerstörung, Zerstörung von Menschenleben weltweit, sinnlosem Energieverbrauch und vielem mehr. Eine Klimabewegung ohne gleichzeitig eine starke Friedensbewegung zu sein oder intensiv mit ihr zusammen zu agieren, wird nicht die gewünschten Erfolge erzielen können. Vielleicht soll mit der Fokussierung auf den Kohleausstieg auch gerade von all der Zerstöung durch Kriege abgelenkt werden? Selbst während des Lockdowns wurde in Deuschlands Rüstungbetrieben munter produziert und verkauft.
    Die komplette Digitalisierung der Welt verbraucht ungeheure Energiemengen. Jede google – Anfrage über Pc und smartphones verbraucht Energie. „Einer der größten Brocken sind dabei die Server in den Rechenzentren, sagt Clemens Rohde. Er leitet Geschäftsfeld Energieeffizienz beim Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe: „Der Energiebedarf von Rechenzentren in Deutschland liegt momentan ungefähr bei 10 bis 15 TWh. In CO2-Äquivalente umgerechnet, entspricht das ungefähr den CO2-Emissionen, die wir im Flugverkehr in Deutschland haben. “
    Also nicht nur demonstrieren und camps aufschlagen – vielleicht mal zum boykott der smartphones aufrufen, oder definitiv Klamotten nicht kiloweise kaufen – wahrscheinlich fällt Euch gemeinsam viel mehr ein!
    Liebe Grüße und und in Liebe zu unserer einen Erde, Mutter Natur!

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