In dem Thwaites-Gletscher in der Westantarktis wurden Risse festgestellt. Forscher*innen befürchten, dass Teile des Gletschers in den nächsten fünf Jahren kollabieren könnte und dabei auch andere Teile des antarktischen Eisschilds mit sich reißen könnte. Die Folge könnte ein Meeresspiegelanstieg um 2,4 m sein – allein in Europa wären schon bei einem Meeresspiegelanstieg von nur einem Meter 13 Millionen Menschen von Überschwemmungen betroffen.
Sie warnen. Und warnen. Und warnen. Aber werden sie gehört? Seit Jahren weisen Wissenschaftler*innen auf die klimawandelbedingte Gletscherschmelze in der Arktis und deren gefährlichen Folgen hin. Schon 2014 werteten Forscher*innen Daten aus vier Jahrzehnten aus und kamen zu dem Schluss, dass der Thwaites-Gletscher in 200 Jahren verschwunden sein könnte. 2019 war zumindest die Forscher*innen-Welt entsetzt, als ein riesiges Loch im Thwaites-Gletscher entdeckt wurde. Im April 2021 erschien eine neue Studie, die aufzeigte, dass der Thwaites-Gletscher und sein „Nachbar“ der Pine-Island-Gletscher vor ihrem Kipppunkt stehen. Nicht erst seit gestern trägt der Thwaites-Gletscher den Beinname „Gletscher des Weltuntergangs“. Vor kurzem haben Wissenschaftler*innen der internationalen Thwaites Glacier Collaboration Risse im Eisschild beobachtet und befürchten nun, dass uns ein Kollaps in den nächsten fünf Jahren bevorsteht.
Aber von Anfang an.
Die Antarktis hat gemeinsam mit Grönland die weltweit größten Eisschilde. Gemeinsam machen sie 96% der vergletscherten Fläche der gesamten Welt aus. Doch durch die Erderwärmung drohen die Eisschilde zu schmelzen. Als besonders gefährdet in den nächsten 100 Jahren gilt die Westantarktis.
Dort, in der Westantarktis, befinden sich die beiden Gletscher Thwaites und Pine-Island-Gletscher. Allein der Thwaites-Gletscher hat eine Fläche, die etwa so groß ist wie die ganz Großbritanniens. Die beiden riesigen Gletscher wirken wie eine Art „Bremsklotz“ für den restlichen westantarktischen Eisschild. Daher ist es besonders fatal, wenn sie abschmelzen. Denn das würde mit großer Wahrscheinlichkeit bedeuten, dass dieser Teil der Antarktis einen Kipppunkt überschreitet: ein Rückzug des Eises von dem sich die Westantarktis nicht mehr erholen würde.
Schon jetzt sind der Thwaites-Gletscher und der Pine-Island-Gletscher für 10% des globalen Meeresspiegel-Anstiegs verantwortlich. Die Erderwärmung setzt den Gletschern heftig zu.
Anfang 2019 entdecken NASA-Forscher*innen ein Loch im Thwaites-Gletscher, was zu diesem Zeitpunkt bereits 4 Kilometer breit, 10 Kilometer lang und fast so hoch wie das Empire State Building war. In den letzten 30 taut der Thwaites-Gletscher doppelt so schnell ab, wie zuvor. Nun könnte sich das Abschmelzen zeitnah sehr abrupt nochmals verschnellern. Glaziologe Erin Pettit von der Oregon State University vergleicht das Abschmelzen mit einer Windschutzscheibe eines Autos, die erst nur ein paar Risse hat und dann auf einmal vollständig zerspringt. Dann schmelze nicht nur der Thwaites-Gletscher ab, sondern reiße auch einen Teil der umliegenden Gletscher mit sich.
Wenn der gesamte Thwaites-Gletscher kollabiert, könnte das einen Meeresspiegelanstieg um 65 cm bedeuten. Allein das würde schon ein Risiko für zahlreiche Küstenregionen, die nur 0,5m oder weniger über dem Meeresspiegel liegen, darstellen. Doch, die Gefahr, dass der Kollaps des Thwaites-Gletscher den gesamten westantarktischen Eisschild destabilisieren könnte, könnte bedeutend, dass die Auswirkungen sogar noch schlimmer sein könnten. Wissenschaftler*innen sprechen in diesem Zusammenhang von einem Meeresspiegelanstieg von 2,4 Metern.
Die Erkenntnisse der Wissenschaft sind besorgniserregend. Noch besorgniserregender sind aber die Reaktionen der Politik. Denn diese sagen dazu… nichts! Die jahrenlangen Warnungen der Wissenschaft scheinen ungehört zu verhallen. Dabei müssten wir schon lange an Evakuierungsplänen arbeiten, Umsiedlung für die Gebiete organisieren, bei denen Dämme und andere Anpassungmaßnahmen nicht mehr reichen werden. Ein Abschmelzen des westantarktischen Eisschilds, wie es durch den Thwaites-Gletscher ausgelöst werden kann, würde zum Beispiel bedeuten, dass Hamburg, ebenso wie weitere europäische Küstenstädte, unter Wasser stehen würde.
Doch nicht nur Hamburg, sondern zahlreiche Küstenorte und ganze Staaten in der ganzen Welt wären bedroht. Vanuatu, die Malediven, die Marshall Islands, Tuvalu und weitere Inseln im pazifischen Ozean und der Karibik liegen nicht mehr als zwei Meter über dem Meeresspiegel. In Vanuatu mussten bereits seit 2006 Menschen aufgrund des Meeresspiegel-Anstiegs umgesiedelt werden.
In China, Bangladesch und Indien äußert sich der ansteigende Meeresspiegel bisher vor allem durch Versalzung von Trinkwasser, weil Meereswasser in das Grundwasser eindringt. 10% der Staatsfläche Bangladeschs, das von zahlreichen Flüssen durchzogen ist, liegen nicht mehr als einen Meter über der Meeresüberfläche und würden damit von Überschwemmungen betroffen sein. In Ägypten wären bereits bei einem Anstieg des Meeresspiegels um nur einen Meter 10 % der Bevölkerung und 12,5 % der Agrarfläche – und damit auch die Lebensmittelproduktion – Ägyptens betroffen. Teile der Küste Westafrikas und am Golf von Guinea, die Küsten von Mosambik, Kenia und Somalia sind schon ab einem Meeresspiegelanstieg von 0,5 m bedroht.
Nur einen Monat nach der internationalen Klimakonferenz COP26 wird jetzt also immer deutlich, dass uns der Kollaps des westantarktischen Eisschilds in naher Zukunft bevorsteht. Die Gefahr dessen ist allerdings nicht erst seit Kurzem bekannt. Wissenschaftler*innen warnen seit Jahren davor. Es ist höchste Zeit, sie endlich ernst zu nehmen. Das Abschmelzen des Thwaites-Gletschers lässt sich vermutlich nicht mehr verhindern, allerhöchstens durch drastische Reduktion der Treibhausgase abbremsen und uns somit noch etwas Zeit verschaffen. Der Verlust von zahlreichen Menschenleben in Küstengebieten und das Überschreiten weiterer Kipppunkte unseres Klima-Systems aber können durch unverzügliches Krisen-Management und ambitionierte Klimapolitik noch verhindert werden. Weder die Gletscher in der Antarktis noch die anderen Folgen der Klima-Krise warten auf eine weitere Konferenz mit leeren Versprechen.