Erinnerungen an #AC2106

Heute vor genau einem Jahr haben wir mit über 40.000 Menschen aus 14 europäischen Ländern unter dem Motto „Climate justice without Borders“ in Aachen, unmittelbar neben dem rheinischen Braunkohlerevier, gestreikt. Ein knappes Jahr später will die Bundesregierung nun ein Kohleausstiegsgesetz auf den Weg bringen, welches die Kohleverstromung für weitere 18 Jahre zementieren, sechs weitere Dörfer dem Braunkohleabbau opfern und die Einhaltung des Pariser Klimaabkommen endgültig besiegeln wird. Aus diesem Anlass hat Jimena aus dem Organisations-Team des internationalen Großstreiks einen Rückblick für euch geschrieben.

AC2106 war, ist und wird immer eine extrem prägende Erfahrung sein, hinsichtlich meiner aktivistischen Laufbahn, aber auch einfach für mich als Mensch, Aktivistin hin oder her. Als ungefähr im Februar 2019 die Idee eines Zentralsteiks aufkam, schien die ganze Sache noch so extrem weit entfernt, und wir malten uns Zahlen aus, die alles andere als realistisch waren. Es folgten zwei entspannte Monate und zwei extrem stressige Monate – was wohl die Folge von den zwei entspannten Monaten war. Wir alle mussten irgendwie herausfinden wie wir eine Grossdemonstration auf die Beine gestellt bekommen und am Ende hat es dann tatsächlich geklappt.
Wenn ich mich heute an den 21. zurück erinnere, ist alles ein wenig schwammig. Ich habe mich irgendwie durch den Tag geschleppt, während mein Gehirn sich in einem Trance-ähnlichen Zustand befand. Der Tag hat morgens um 8 Uhr am Infopoint angefangen und dann irgendwann nachts aufgehört, als das Ordnungsamt gerufen wurde, da mein Rucksack von einem Security-Mann als unbeaufsichtigtes Gepäckstück in der „VIP Lounge“ identifiziert wurde. Zwischen diesen beiden Ereignissen ist so viel geschehen, dass darüber wahrscheinlich ein kleines Buch geschrieben werden könnte. Das werde ich euch aber ersparen.
Die ersten zwei Stunden verbrachte ich am Infopoint, zugegeben, das war ein recht langweiliger Start in den Tag und ich zweifelte ein wenig an der Grossartigkeit dieses Tages. Dann irgendwann bekam ich mein eigenes Funkgerät, was nicht nur eine grosse kommunikative Hilfe war, sondern auch einfach ein aufheiterndes Extra war, dass mich (und das ganze Orga-Team) besonders wichtig fühlen liess. Einen kleinen Vorgeschmack auf die (Spoilerwarnung) 40.000 Menschen die später durch unsere fabulose Kaiserstadt Aachen laufen würden, bekamen wir als wir von den Mengen in den Bussen und (Sonder-)Zügen hörten. Wir waren alle so unfassbar aufgeregt, die Stimmung war gut, das Wetter war perfekt und egal was für Sorgen und Zweifel wir am Vortag hatten, die Massen waren da und wir mussten einfach einem vagen Plan folgen bis hin zum Tivoli, wo wir dann ein (viel zu langes) Programm über die Bühne bringen mussten. Das war tatsächlich der Bereich in dem ich mich engagiert habe und mit einer wirklich tollen Gruppe ein Entertainment-Programm ausgearbeitet habe. Natürlich ist nicht alles glatt gelaufen, ich habe falsche (aber auch richtige) Entscheidungen getroffen, so wie eine Menge Menschen an diesem Tag, aber als wir das Programm vor dem Zeitlimit beenden
konnten und immernoch Zuschauerinnen vorort waren, zog ich den Schluss, dass wir gute Arbeit geleistet haben. Was den Tag dann nochmal besser machte war die Stimmung am Abend im Parkhotel und um das Tivoli herum. Für einen kleinen Moment, als am Abend getanzt, gegessen und gelacht wurde, war die Welt für mich doch ganz in Ordnung. Leider ist es unmöglich meine Gefühle und generell alles was in dieser Zeit passiert ist, in diesem Text anständig auszuführen, aber ich fasse gerne meine drei Lieblingsmomente von jenem Tag zusammen: Zum einen haben wir natürlich den Moment als wir erfahren haben wie viele Teilnehmerinnen da waren: 40.000! Das war so ein unfassbar schöner Moment, obwohl ich ehrlich gesagt bis zum Start der Demo fest daran geglaubt hatte, wir würden die 500.000 Marke knacken, aber das liegt lediglich an
meinem hoffnungslosen Optimismus. Da wir im Vorhinein von 10.000 – 15.000 Teilnehmenden gesprochen hatten, kam das dann trotzdem unerwartet. Gleichzeitig war ich unglaublich begeistert: all die Arbeit war nicht umsonst.
Ausserdem Brass Riot’s Mini Konzert vor dem Parkhotel. Nach all dem Stress war das wahrscheinlich das Beste um zu entspannen. Diejenigen, die damals im Parkhotel geschlafen haben erinnern sich ganz sicher noch daran. Ich habe danach eine kleine Asthma-Attacke gehabt, aber das war’s wert.
Und dann, mein absoluter AC2106-Lieblingsmoment: Als ich von der Brücke, die Menschenmasse zum ersten Mal gesehen habe. Ich habe tatsächlich fast angefangen zu weinen, aber bevor das passieren konnte, musste ich leider wieder zurück.
AC2106 war so ein wichtiger Moment in meinem Leben und ich habe in diesen vier (oder auch zwei) Monaten so unfassbar viel gelernt: wie ich Redner*innen und Musik Acts verteile auf ein mehrstündiges Programm, wie es ist, neben „dominanten“, weissen Cis-Männern zu arbeiten, dass es völlig in Ordnung ist, um Hilfe zu bitten, dass Schlafen die schönste alltägliche Aktivität ist, und dass drei Stunden Schlaf nicht ausreichen.
Ausserdem habe ich so viele unfassbar tolle Menschen kennengelernt, mit denen ich tatsächlich noch in Kontakt bin. Ich möchte an dieser Stelle nochmal allen Beteiligten danken, die so viel Zeit und Arbeit in die ganze Sache gesteckt haben und auch wenn wir AC2106 zwar alles andere als perfekt auf die Beine gestellt haben, wir uns gestritten haben, Zelte verloren haben, bis 3 Uhr nachts E-mails beantwortet haben und viele Fehler gemacht haben – am Ende hat das alles, dann doch was gebracht!
Dass all das schon ein Jahr her ist, kommt mir extrem surreal vor. Seitdem haben wir uns alle weiterentwickelt, politisch und menschlich gesehen, aber AC2106 verbindet uns immer noch ein wenig.
Ich hoffe, ich konnte einen kleinen, sehr kitschigen, Einblick in das ganze Projekt gewähren und auch ein paar schöne Erinnerungen hervorrufen!

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