In den letzten Tagen und Stunden habe ich zahlreiche Nachrichten von Familienmitgliedern auf Rheinland-Pfalz und Freund*innen aus Nordrhein-Westfalen erhalten: Sie sind sicher und es geht ihnen gut. Nicht alle Menschen haben aktuell dasselbe Glück. Über 100 Menschen haben allein in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen durch die Unwetter ihr Leben verloren. In Belgien sind mindestens 20 Menschen gestorben und auch in den Niederlanden spitzt sich die Situation zu. Es fällt schwer, Worte zu finden, für die Menschen, die aktuell um ihre Liebsten trauern und den Schock verarbeiten müssen, das auf einmal ihre Welt auf den Kopf gestellt wurde. Wir denken an euch und wünschen euch ganz viel Kraft, um diese Zeit irgendwie durchzustehen.
In den sozialen Medien suchen Menschen nach ihren Angehörigen – Stand Donnerstagabend waren im Kreis Ahrweiler noch über 1300 Menschen vermisst. Auch weil der Mobilfunkempfang ausgefallen ist, sind gerade zahlreiche Menschen in Sorge und Angst. Tausende Menschen mussten ihr Zuhause verlassen, um sich vor den Fluten zu retten.
Wer die aktuellen Geschehnisse mit der Klimakrise in Verbindung bringt, muss sich schnell den Vorwurf anhören, es sei pietätslos, weil es das Leid der Betroffenen politisiere. Wann aber werden wir endlich darüber sprechen, dass die Wissenschaft seit Jahren warnt, dass Extremwetterereignisse wie dieses zunehmen werden? Wann werden wir über die Gründe dafür sprechen, dass Extremwettereignisse von Hitzewellen über Wirbelstürme zu Überschwemmungen aktuell häufiger und intensiver werden? Wann werden wir darüber sprechen, was wir tun können, um Menschen zu schützen, damit sie eben nicht das durchmachen, was gerade geschieht?
Aber dazu gleich. Zunächst eine kurze Zusammenfassung, wie aktuell geholfen werden kann.
Die Hilfsbereitschaft aktuell ist groß. Doch es ist wichtig, dass die Unterstützung gut koordiniert geschieht und professionelle Rettungskräfte nicht in ihrer Arbeit behindert werden. Wer vorhat, vor Ort mitanzupacken, sollte sich also zuvor auf der Website der betroffenen Kommune/des betroffenen Kreis oder ihren Social Media Seiten informieren oder auf der Website/den Social-Media-Seiten des Ortsvereins des Deutschen Roten Kreuz oder der örtlichen Feuerwehr nachschauen. Auch bei Sachspenden sollten zunächst auf den Websites der Kommunen oder der Sammelstellen nachgeschaut werden, was aktuell benötigt wird. Nicht alle Ausgabestellen benötigen z.B. mehr Kleidung.
Der WDR vermittelt aktuell Hilfsangebote und Hilfsgesuche. Diese können per Text- oder Sprachnachricht per WhatsApp: 0221 56789222; per E-Mail: wdr2@wdr.de oder per Telefon: 0221 56789222 beim WDR eingereicht werden. Handwerksbetriebe, die sich bei den dringend notwendigen Aufräum- und Aufbauarbeiten engagieren wollen, können sich bei der Stadt Koblenz unter 0261 398251 oder hochwasserhilfe@hwk-koblenz.de melden.
Die haupt- und ehrenamtlichen Kräfte leisten aktuell in den betroffenen Gebieten Unglaubliches, unter Aufwand ihrer ganzen Kraft und Ressourcen. Wer sie und die Betroffenen, die durch diese Hochwasserkatastrophe ihr Zuhause verloren haben, unterstützen will, kann dies, wenn möglich, durch eine Spende tun. So könnt ihr effektiv die Menschen vor Ort unterstützen, egal von wo. Wer spenden kann, findet hier eine Liste von Spendenkonten und -zwecken.
Außerdem: Achtet aufeinander, habt gerade jetzt ein offenes Ohr für die Sorgen und Ängste, die diese Situation hervorruft, nehmt euch Zeit, die Nachrichten sacken zu lassen und passt auf euch und einander auf!
Die aktuelle Situation ist zutiefst beängstigend und erschreckend. Wir müssen jetzt darüber sprechen, dass die menschengemachte Erderwärmung dazu beiträgt, dass Extremwetterereignisse häufiger und stärker werden. Denn wegzuschauen und diese Tatsache zu ignorieren, kostet Menschenleben, deren Tod vermeidbar ist. Prof. Hannah Cloke, Flutexpertin der britischen Universität Reading, sagte gegenüber dem ZDF, dass in der aktuellen Katastrophe ein bundesweit einheitliches Vorgehen gefehlt habe, da lokale Verwaltungen nicht immer die Mittel hätten, sich angemessen vorzubereiten und dass die Gefahr auch von der Bevölkerung unterschätzt worden sei. Sie sagt auch: „Mit dem Klimawandel werden solche Ereignisse nur noch häufiger auftreten.“
Aktuell sind wir bei ca. 1,2°C durchschnittlicher Erderwärmung. Wir erleben bereits jetzt, dass dies massive Einwirkung auf unsere Umwelt hat. Selbst in den kältesten Regionen der Welt wurden in den letzten Wochen – mal wieder – Hitzerekorde gemessen. Große Gletscher in der Antarktis stehen aktuell kurz vor dem Kipppunkt. Das Abschmelzen des Eis führt auch dazu, dass die Temperaturen an den Polen überproportional steigen und somit der Temperaturunterschied zwischen Nordpol und Äquator geringer wird. Dies wiederum führt dazu, dass Starkwinde, die durch diesen Temperaturunterschied beeinflusst werden, schwächer werden – der Jetstream nimmt zunehmend ab. Eine gute Erklärung, wie genau das funktioniert, findet ihr hier. Der Jetstream ist auch für die Wetterlage in Mitteleuropa verantwortlich. Wenn er sich abschwächt, bleiben Hoch- oder Tiefdruckgebiete, wie aktuell das Tiefdruckgebiet Bernd, länger an einem Ort, ziehen nicht so schnell weiter. Und es macht eben einen Unterschied, ob eine Region nur kurz Höchsttemperaturen oder starken Regenfällen ausgesetzt ist oder über mehrere Tage hinweg.
Dazu kommt: Wärmere Luft kann mehr Wasser speichern, weshalb die Erderwärmung zu mehr und längeren Regenfällen führt. Bereits in den letzten zwei Jahrzehnten – das zeigen Daten aus 1.000 Messstationen des Deutschen Wetterdienstes, die CORRECTIV zusammengetragen hat – sind in Deutschland schwere Niederschläge stark angestiegen.
Nichtsdestotrotz antwortet Armin Laschet, Ministerpräsident des stark getroffenen Nordrhein-Westfalen und Kanzlerkandidat der CDU in der aktuellen Stunde des WDR auf die Frage der Journalistin Susanne Wieseler, ob er nun gedenke Klimaschutz ambitionierter voranzubringen, dass man „weil jetzt so ein Tag ist“ nicht die Politik ändere.
Seit Jahren warnen Klima-Wissenschaftler*innen mit großer Einigkeit, davor, dass Extremwettereignisse wie dieses durch die Erderwärmung häufiger und heftiger werden. Schon 2005 mussten die ersten Menschen auf der pazifischen Insel Vanuatu wegen des Meeresspiegelanstiegs umsiedeln. 2020 wurden so viele Hurrikans über dem Atlantik gezählt, wie noch nie. Die Provinz Shandong im Osten Chinas wurde diese Woche von der stärksten Serie von Tornados getroffen, die jemals beobachtet worden sein soll. In Tcheschien sorgte Ende letzten Monats ebenfalls ein Tornado für Verwüstung und mindestens fünf Tote. In Kanada starben dutzende Menschen während einer extremen Hitzewelle. Und in Deutschland finden Unwetter statt, die ARD-Metereologe Eisemann als Jahrhundertereignisse bezeichnet.
Spätestens jetzt müssen wir die Politik ändern – Denn die Klima-Krise ist bereits da. Wir können es uns nicht leisten, Klimapolitik weiterhin auf 2030 oder 2050 in die ferne Zukunft zu verschieben – wir brauchen jetzt politische Entscheidungen, die vorausschauend dafür sorgen, dass wir besser gegen die Folgen der Klimakrise gewappnet sind und Menschenleben schützen. Und wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass die durchschnittliche globale Erderwärmung 1,5°C überschreitet und vollends Dimensionen annimmt, an die wir uns nicht mehr anpassen können. Eine 1,5°-konforme Politik bedeutet große, strukturelle Veränderungen und mag auch unbequem sein – aber sie ist – das sagt die Machbarkeitsstudie des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie möglich und sie ist vor allem – das zeigen die Ereignisse der letzten Tage mal wieder auf das deutlichste – dringend nötig.
Wir alle wollen, dass es uns und unseren Mitmenschen gut geht. In der aktuellen Krise ist die Hilfsbereitschaft gigantisch. In Bonn beispielweise startete die Stadt einen Aufruf an ihre Bürger*innen durch das Hochwasser obdachlos gewordene Menschen aus anderen Kreisen aufzunehmen – und bereits nach einem Tag mussten sie darum bitten, nun keine weiteren Angebote an die Stadt zu übermitteln, weil mehr als genug zusammengekommen waren. Dies ist nur ein Beispiel von vielen – Das macht Hoffnung, dass wir auch nicht nur die aktuellen Höhepunkte der Klimakrise, sondern auch den Weg aus dieser Krise gemeinsam und solidarisch gestalten können.
Nächste Woche werden wir an zahlreichen Orten in Deutschland unter dem Motto #KlimakriseIstHier für eine wirksame Klimapolitik, die Menschenleben schützt auf die Straßen gehen. Bis dahin unterstützt, wo es euch möglich ist, die Betroffenen – sei es mit einer Spende, mit tatkräftigem Anpacken oder guten Worten und einem offenen Ohr und passt vor allem auf euch auf.