Können Gerichte das Klima retten?

In den letzten Jahren erfreut sich in der Klimabewegung sowohl in Deutschland als auch in vielen anderen Ländern ein neues Mittel zur Durchsetzung effektiver Klimaschutzmaßnahmen immer größerer Beliebtheit: die Klimaklage. Denn wenn Staaten sich schön klingende Klimaziele geben, aber keine entsprechenden Maßnahmen ergreifen – das sogenannte „Vollzugsdefizit“ – können Gerichte die Regierungen zur Konkretisierung ihrer Vorhaben verpflichten. Aber wie erfolgreich sind Klimaklagen eigentlich wirklich? Wir haben uns die bekanntesten Fälle mal angeschaut.

Der „Fall Huaraz“

Seit 2015 kämpft der Kleinbauer Saúl Luciano Lliuya aus dem peruanischen Huaraz vor Gericht gegen den RWE-Konzern. Die Begründung: Weil RWE durch seine Kohlekraftwerke das Klima aufheizt und deshalb in Peru die Gletscher schmelzen, steigt die Gefahr einer Überflutung seines Heimatortes.

Nachdem seine Klage in erster Instanz vom Landgericht Essen verworfen wurde, ging Lliuya vor dem Oberlandesgericht in Berufung und schrieb damit Geschichte. Denn zum weltweit allerersten Mal hat es eine Klage auf unternehmerische Haftung für Klimarisiken in die Beweisaufnahme geschafft. Der angesetzte Ortstermin sollte letztes Jahr stattfinden, musste wegen der Corona-Pandemie aber verschoben werden.

Aber schon jetzt dürfte das Gerichtsverfahren Auswirkungen haben. Denn der Paragraf 1004 aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch, auf den sich die Klage bezieht, wird normalerweise bei Nachbarschaftsstreitigkeiten angewendet. Das OLG Hamm entschied aber, dass sich durch die weltweiten Auswirkungen des Klimawandels eine Art „globales Nachbarschaftsverhältnis“ zwischen Lliuya und RWE ergibt. Weil es ähnliche Paragrafen auch in vielen anderen Ländern der Welt gibt, könnte es in Zukunft zu weiteren Verfahren ähnlicher Art kommen.

Der „People’s Climate Case“

2018 reichten zehn vom Klimawandel direkt betroffene Familien aus sieben Ländern eine Klage gegen die Klimagesetzgebung der Europäischen Union ein. Die Klagenden forderten, dass die EU ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 nicht wie damals geplant um 40 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 senkt, sondern um 50 bis 60 Prozent.

Die Klage wurde aber sowohl vom Gericht der Europäischen Union als auch in zweiter Instanz vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) als unzulässig abgewiesen. Die Begründung: Weil die Klagenden nicht die einzigen seien, die vom Klimawandel betroffen sein werden, könnten sie keine individuelle Betroffenheit vorweisen und hätten damit auch keine Klagebefugnis. Weil die EU in der Zwischenzeit ihr Klimaziel sowieso nachgebessert hat (55 Prozent weniger Emissionen bis 2030), hätte die Klage zwar keine direkten Auswirkungen mehr gehabt, allerdings hätte sie ein Präzedenzfall für weitere Klagen sein können.

Deswegen gehen sechs portugiesische Kinder Jugendliche nun einen anderen Weg. Sie haben eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingereicht, und zwar gegen alle 33 Staaten, die die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben, darunter auch Deutschland. Konkreter Anlass sind die verheerenden und vom Klimawandel mitverursachten Waldbrände, die 2017 in Portugal über 100 Menschenleben kosteten. Ein Urteil steht bisher noch nicht fest, allein die Tatsache, dass der Fall überhaupt verhandelt wird, kann aber schon als Erfolg gewertet werden, denn normalerweise müssen vor einer Klage beim EGMR erst nationale Gerichte angerufen werden.

Die Klimaklage am Bundesverfassungsgericht

Die in Deutschland wahrscheinlich bekannteste Klimaklage: Nachdem neun junge, vom Klimawandel betroffene Kläger*innen beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen das deutsche Klimaschutzgesetz eingelegt hatten, wurde dieses in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Konkret wurde gefordert, dass die Emissionsreduktionspfade im Gesetz schon frühzeitig auch über 2030 hinaus angegeben werden, anstatt sie erst wenige Jahre vorher festzulegen; das wurde mittlerweile auch umgesetzt. Das Urteil hat aber auch aus anderen Gründen große Sprengkraft.

Zum einen wurde die Auffassung der EU-Gerichte, dass eine individuelle Betroffenheit nur bei einer kleinen Anzahl an Betroffenen vorliegt, verworfen. Im Urteil heißt es: „Allein der Umstand, dass eine sehr große Zahl von Personen betroffen ist, steht einer individuellen Grundrechtsbetroffenheit nicht entgegen“. Außerdem stellt das Gericht fest, dass Klimaschutz ein Menschenrecht ist, dass Deutschland seinen gerechten Anteil dazu leisten muss und dass Emissionsminderungen nicht zu weit in die Zukunft verlagert werden dürfen, weil sie dann umso schneller vonstatten gehen müssen, wodurch die Freiheit der jungen Kläger*innen eingeschränkt sein könnte.

Damit öffnet das Urteil den Weg für weitere Klagen. In den letzten Monaten wurden Verfassungsbeschwerden gegen acht Bundesländer eingereicht. Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und das Saarland werden darin dazu aufgefordert, eigene Klimaschutzgesetze zu verabschieden, außerdem sollen Bayern, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen ihre aus Sicht der Anklage unzureichenden Gesetze nachbessern. Darüber hinaus sollen die Autokonzerne BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen sowie der Öl- und Gasproduzent Wintershall Dea durch Zivilklagen zu größeren Anstrengungen beim Klimaschutz verpflichtet werden.

Weitere Klimaklagen

Auch in anderen Ländern gab es Klimaklagen. In den Niederlanden wurde die Regierung im Jahr 2015 per Gerichtsurteil zu einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 25 Prozent bis 2020 (gegenüber 1990) verpflichtet. Die Regierung legte Berufung ein, das Urteil hatte aber auch in höheren Instanzen bis hoch zum Obersten Gericht der Niederlande Bestand. In einem weiteren spektakulären Urteil wurde dann im Mai dieses Jahres der Ölkonzern Shell, der seinen Hauptsitz im niederländischen Den Haag hat, zu schärferen Klimazielen verpflichtet. Shell muss seine Emissionen nun bis 2030 um 45 Prozent gegenüber 2019 senken, ist allerdings mittlerweile gegen das Urteil in Berufung gegangen.

In Irland wurde die Regierung vom Obersten Gericht dazu verpflichtet, ihren vorher recht vagen Plan zur Erreichung der eigenen Klimaziele zu konkretisieren, in Polen wurde geurteilt, dass sowohl die umfangreiche Abholzung im Białowieża-Urwald als auch die Beteiligung eines polnischen Staatskonzerns am Bau eines neuen Kohlekraftwerks rechtswidrig sind, und ein britisches Gericht erklärte die Ausbaupläne des Londoner Flughafens Heathrow für nichtig, weil sie das Pariser Klimaschutzabkommen nicht berücksichtigen.

In anderen Fällen wurden zumindest Teilerfolge erzielt: In Australien wurde die Erweiterung einer Kohlemine zwar nicht gestoppt, das Gericht stellte aber fest, dass die Regierung eine Sorgfaltspflicht gegenüber jungen Menschen hat, was auch Klimafolgen mit einschließt. Und in Belgien urteilte ein Gericht, dass die Regierung durch ihre unzureichende Klimapolitik gegen das belgische Recht und die Menschenrechte verstößt, verzichtete aus Gründen der Gewaltenteilung aber darauf, konkrete Vorgaben zu machen, wie die Klimaziele erreicht werden könnten.

In Norwegen wurde dagegen eine Klimaklage abgelehnt. Die Kläger*innen wollten erreichen, dass die Lizenzvergabe für neue Ölbohrungen in der Arktis durch die norwegische Regierung gestoppt wird, das Oberste Gericht erteilte diesem Vorhaben aber eine Absage. Die Begründung: Jedes Land sei nur für seine eigenen Treibhausgasemissionen verantwortlich und zu denen trage die Ölförderung nicht viel bei. Wenn norwegisches Öl dann in anderen Ländern verbrannt wird, sei das kein Verstoß gegen die norwegische Verfassung.

Dieser Text basiert auf einem Beitrag aus unserem wöchentlichen „Klimareport“. Wenn er euch gefallen hat, könnt ihr ihn auf Telegram oder WhatsApp abonnieren.

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