Es ist kalt, als wir uns am Bahnhof treffen, um nach Lützerath aufzubrechen. Nicht nur, weil November ist, sondern auch, weil wir um 4:00 Uhr morgens losfahren, um nach unserer Fahrt quer durch Deutschland rechtzeitig zur Demo an der Tagebaukante anzukommen.
„Ich freu mich so. Ich dachte, ich sehe Lützi nie wieder“, erzählt mir eine der anderen Aktivisti. Dass nicht sicher ist, ob es die Höfe, die für uns so viel mehr sind, als ein Dorf, bald noch geben wird, wird mir mit jedem Kilometer, den wir Lützerath näher kommen, bewusster.
Zum Zeitpunkt der Demo ist es über einen Monat her, dass RWE, Robert Habeck und die NRW-Wirtschaftsministerin Neubauer den Abriss Lützeraths vereinbart haben, unter dem Vorwand, den Kohleausstieg vermeintlich vorzuziehen. Ein Taschenspielertrick, wie sich bald herausstellte, denn die abgebaute Kohlemenge und also auch die ausgestoßene Menge CO2 bleiben die selben.
Nach der Demo drehen wir eine Runde durch das Dorf, zuerst vorbei an „Pfützerath“, einer einfallsreich beschilderten Schlammwiese, dann an den modernsten Baumhäusern, die ich bis jetzt gesehen habe, einem Awarenesszelt, der „Küche für alle“ und ganz am Ende zu einem Stand an dem es gegen eine Spende Pizza gibt. Auch hier läuft nicht alles immer perfekt, erklärt mir eine ehemalige Bewohnerin – und trotzdem kann ich nicht anders, als die Utopie zu bestaunen, die in vielen Ecken Lützeraths schon jetzt gelebt wird… hier ein bisschen Postkapitalismus, da ein bisschen autarke Energieversorgung.
Auch, was in den Reden auf der Demonstration gesagt wurde, beschäftigt uns beim Spazieren. Da war eine Person, die uns vor allem mit Fakten Mut gemacht hat: Mit dem Hambacher Forst schien es vorbei zu sein, als ein Stück Wald, das bis heute steht, durch die Besetzung gerettet werden konnte. Dass Dörfer wie Pödelwitz und Obertitz abgerissen werden, konnte mit jahrelangem Widerstand verhindert werden. Und wären da nicht seit Jahren Initiativen wie Lützerath Lebt und Alle Dörfer Bleiben, bis vor kurzem der letzte Landwirt Eckart Heukamp und alle Besetzer*innen von Lützerath, dann würde das Dorf schon seit 2018 nicht mehr stehen.
Auch eine MAPA-Rednerin ist uns besonders in Erinnerung geblieben. MAPA steht für Most Affected People and Areas, also die Menschen und Gebiete, die weltweit am stärksten von der Klimakrise betroffen sind. Ihr Aufruf, Lützerath gerade mit Blick auf globale Krisen zu retten, ist nicht nur charismatisch, sondern vor allem richtig mitreißend.
In den Wochen nach der Demo gibt es erst einmal keine größeren Neuigkeiten aus Lützerath. Eine Instagramstory teilt mit, dass 2022 nicht mehr mit der Räumung zu rechnen ist.
Die Stimmung ändert sich erst, als am 06.12. aus Lützerath berichtet wird, wie eine Hunderschaft eine Ortsbegehung durchführt. Plötzlich ist Tag X wieder greifbarer geworden. Menschen aus ganz Deutschland und darüber hinaus haben schon angekündigt haben, an die Kante zu fahren.
Am Tag darauf kappt RWE den Strom nach Lützerath – und das, obwohl die dort gemeldeten Ökostromkund*innen weiter bezahlen.
Am 11.12. schließlich informiert die Initiative Lützerath Lebt über Instagram, dass ein Räumungsversuch für das Wochenende vom 14. Januar angekündigt wurde. Das Dorf soll zunächst mit Bauzäunen abgeriegelt werden.
Seitdem wird der Protest gegen die Räumung vorbereitet. Jede*r ist willkommen, nicht nur bei der Blockade von Abrissmaschinen und dem Tagebau selbst, sondern zum Beispiel auch im legalen Unterstützungscamp in Keyenberg.
Mit dem Abriss Lützeraths würde Deutschlands Chance, die 1,5°C-Grenze einzuhalten, Geschichte werden.
Die Polizei wird gezwungen sein, Lützerath zu räumen – es sei denn, es stellen sich einfach zu viele Menschen entgegen.
Lasst uns zu viele sein. Lasst uns Lützerath schützen, entschieden, friedlich und vor allem gemeinsam.