Man erntet, was man sät – Analyse eines politischen Flächenbrandes

Ihr habt es sicherlich alle mitbekommen: Seit einigen Tagen demonstrieren Bäuer*innen in ganz Deutschland gegen die (inzwischen in Teilen zurückgenommene) Streichung der Subventionen auf Agrardiesel. Die Proteste, ihre öffentliche Rezeption und die Reaktion der Polit-Landschaft sind so entlarvend wie spannend. Eine Analyse eines politischen Flächenbrandes.

 Hintergründe

Im Kontext der 60 Milliarden Euro schweren Haushaltslücke, die das Bundesverfassungsgerichtsurteil Ende 2023 hervorgerufen hat, suchte die Ampel-Koalition nach Wegen, an den Ausgaben zu sparen – neben dem klimapolitisch wichtigen Klimatransformationsfonds (KTF) und sozialpolitischen Maßnahmen sollte auch die “Agrardieselrückerstattung” (eine Steuerrückerstattung auf Diesel für bestimmte land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge) angegangen werden, wie der Bundesrechnungshof Anfang diesen Jahres vorschlug – eine Reform sei “längst überfällig”. Bundesweit geht es dabei um 440 Millionen Euro. (An der Stelle sei erwähnt: All das lästige Herumgespare – insbesondere in den Bereichen, in denen jetzt dringend Investitionsoffensiven nötig wären – könnte man sich sparen, wenn man endlich mal die antike Schuldenbremse reformieren würde!) 

Der Knackpunkt: Landwirtschaft ist in Deutschland eigentlich nicht profitabel; Betriebe halten sich nur durch immense staatliche Subventionierungen, die weit über die entfallende Steuer auf Diesel hinausgehen. Viele Millionen des Bundeshaushalts fließen in land- und forstwirtschaftliche Betriebe. Trotz insgesamt steigenden Profiten in der Landwirtschaft trifft eine radikale Aussetzung der Agrardieselsubventionen einige kleinere Betriebe hart. Daher kommen auch die inzwischen stattfindenden Proteste im ganzen Land.

Aktuelle Lage

So weit, so erwartbar. Und das ist die erste Differenzierung, die wir aushalten müssen: Es ist natürlich demokratisch gerechtfertigt, gegen die Streichung von Subventionen und für den eigenen Geldbeutel zu demonstrieren. Gewerkschaften streiken auch für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn – zurecht. Jede Berufsgruppe darf für eigene Interessen einstehen. 

Was wir gerade erleben müssen, das ist aber etwas ganz anderes: Trotz der teilweisen Rücknahme der Subventionskürzungen, trotz Dialogangeboten der Bundesregierung, trotz riesiger medialen Rezeption (kurzum: dem Eintreten des erklärten Ziels der Proteste) machen die Bäuer*innen weiter wie bisher, intensivieren ihren Protest. Die eskalierenden Proteste sind nicht nur Nährboden, sondern auch Kristallisationspunkt der politischen Kräfte, die auf genau diesen Moment monate- vielleicht jahrelang gewartet und hingearbeitet haben: braune Suppe, erzkonservative, völkische Kräfte, Rechtspopulist*innen und Neonazis. Auf den Protesten herrscht ein Generalstreikcharakter, ja, Umsturzgedanke gegenüber der Ampelregierung. Auf den Traktoren steht geschrieben, es sei wie im Schach: “Erst fällt der Bauer, dann der König”. Völkische Bezüge sind da nicht weit: “Bauernstärke ist Landesstärke”. Immer wieder taucht das rechtsextreme “Landvolk”-Symbol auf. An den Traktoren hängen am Galgen erhängte Puppen in Ampelfarben. Der bundesweite Bauernverband hat sich auf dem Papier distanziert – während der Präsident des brandenburgischen Regionalverbandes feststellt: “Lieber Galgen im Garten, als Steine zu werfen”. 

Hier geht es vielen nicht um die 20 Cent auf den Liter. Hier werden rechtsextreme Umsturzfantasien ausgelebt. Die Bauernproteste werden nicht von den Rechten vereinnahmt, sie sind von ihnen organisiert. Um einmal (und danach nie wieder!) Sigmar Gabriel zu zitieren: “Bei uns zu Hause würde man sagen, das ist Pack, was sich hier herumgetrieben hat.” 

Der Flächenbrand

Quelle: https://x.com/ER_Bayern/status/1744325630592704924?s=20

Aber wäre es nur dieses übliche braune Pack, das ausnahmsweise mit Treckern statt mit Fackeln demonstrieren geht – das würden wir kennen. Doch es ist ein Flächenbrand, eine in ihrer Gesamtheit verrohende politische Kultur in Deutschland. Diese dystopische Tendenz macht noch nicht einmal vor den demokratischen Parteien halt: Die Union, bestehend aus CDU und CSU, hat sich energisch hinter die Bauernproteste gestellt, wohl in dem Glauben, mit diesem Opportunismus an politischem Momentum gewinnen zu können. Dabei lassen sie praktischerweise hintenüberfallen, dass sie gemeinsam mit allen anderen Parteien im Rechnungsausschusses des Bundestags für das Ende der Agrardieselsubvention votiert haben. Jetzt posten sie Bilder aggressiver Bauern mit Mistgabel in der Hand, zeigen sich geschlossen an der Seite der Bauern und sprechen über Unfähigkeit in der Ampelregierung. Sie haben mutwillig Proteste angestachelt und das Kippen des politischen Klimas bewusst in Kauf genommen, um selbst an Einfluss zu gewinnen – Opportunismus never looked so disgusting. Da kommt selbst Schröder nicht mehr aus dem Staunen.

Nicht einmal nach dem versuchten Angriff auf den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck bei seiner Rückkehr vom Familienurlaub auf Hallig Hooge durch einen Mob wütender Bäuer*innen konnten Merz und Söder die richtigen Worte finden. Ohrenbetäubendes Schweigen aus dem konservativen Lager. 

Aber auch die mediale Rezeption macht fassunglos – von stramm rechtspopulistischen Blättern wie NIUS ganz zu schweigen macht auch die Springerpresse (BILD, WELT, BZ…), eines der einflussreichsten Medienhäuser, weiter fröhlich Hetzjagd auf alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist – alles, aber am allerliebsten Habeck. Nach eben erwähntem Angriff titelte die BILD: “Um 01:50 schlich sich Habeck zurück an Land”. Die Jagdsaison auf demokratisch legitimierte Politiker*innen gilt als eröffnet- und seit den 68ern schießt die BILD in alter und neuer Tradition mit. 

Ein weiterer Evergreen: False Balancing. Über 200.000 streikende Fridays for Future Aktivist*innen auf unserem letzten Großstreik im September waren einigen Medien nur eine Randnotiz wert. Wenige tausend streikende Bäuer*innen in Traktoren machen überall Schlagzeilen. Was mit vernünftiger Fokussetzung passiert ist, bleibt eine offene Frage. 

Der Dammbruch

Wir sind Proteste gewohnt, wir sind harte Proteste gewohnt, wir sind rechte Proteste gewohnt. Die politische Debattenkultur bewegte sich in den letzten Jahren immer weiter gen Nullpunkt. Aber dass in dieser Form, in dieser Größe schwerwiegende Tabubrüche passieren, das schockiert. Und es hat eine Signalwirkung: wenn man laut genug schreit, hart genug bedroht, wenn man genug Tasten auf der Umsturzklaviatur drückt, dann wird man ernst genommen, dann werden die politischen Ziele durchgesetzt, dann hat man die Union und AfD auf seiner Seite. Wer bisher Debatten geführt, konstruktive Kampagnen aufgebaut und differenzierte Forderungen aufgestellt hat, der ärgert sich jetzt  grün und blau. Wenn wir diese Kampagnen von rechts gewinnen lassen, züchten wir uns damit die nächsten heran. Und dann gute Nacht. 

Was also tun? 

Das nächste Jahr wird hart. Der Rechtspopulismus greift um sich, die CDU orientiert sich neu, Rechtsextremismus wird salonfähig. Unsere konstruktiven, lösungsorientierten Kampagnen sind weniger laut als der pure Hass des rechten Mobs. Das ist die traurige Wahrheit. Zur Wahrheit gehört aber auch – nie war es wichtiger als jetzt, für diese Demokratie zu kämpfen. Wir wissen, dass wir das oft sagen. Und wir wissen, dass ihr das immer und überall hört. Aber es stimmt. Wenn der Diskurs verroht, braucht es Menschen, die ihn richtig führen. Wenn die Demokratie in ihrer Form bedroht ist – und das ist leider keine Übertreibung mehr – dann braucht es Menschen, die sie verteidigen. Das ist demokratische Pflicht. Nehmen wir sie gemeinsam wahr. 


Luis

Luis ist seit 2019 bei Fridays for Future Berlin und auf Bundesebene aktiv. Dabei beschäftigt er sich vor allem mit Öffentlichkeitsarbeit und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen.

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