Nene, warum sollten wir Klima(un)gerechtigkeit intersektional betrachten?

„Es gibt keine Klimagerechtigkeit ohne eine grundlegenden Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse“, sagt Nene Opoku. Sie ist Teil des BIPoC Environmental & Climate Justice Kollektiv Black Earth und setzt sich im 15. Teil unserer Gastbeitragsreihe „Sommer der Utopien“ mit einer dekolonialen und intersektionalen Betrachtung der Klimakrise auseinander.

Der Klimawandel betrifft nicht alle Menschen gleich, sondern wirkt viel mehr als Verstärker ohnehin bestehender Ungleichheiten. Menschen im globalen Süden sind bereits seit Jahrzehnten massiv vom Klimawandel betroffen und jedes Jahr werden immer mehr Existenzen zerstört oder sind akut bedroht. Selbst wenn ein Temperaturanstieg auf 1,5 Grad begrenzt würde, sind die Folgen im globalen Süden katastrophal. Andererseits entscheiden auch weitere Faktoren darüber, ob und wie stark Menschen von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Zwar ist die wirtschaftliche Macht von Staaten bzw. der sozioökonomische Status einer Person von entscheidender Bedeutung,
doch auch weitere Faktoren üben einen Einfluss aus, die nicht sofort offensichtlich sind. Sexistische Strukturen, wie etwa die Verantwortlichkeit von Frauen* für Fürsorgearbeiten, führt ebenfalls zu einer höheren Verwundbarkeit. Bei Extremwetterereignissen erreichen Frauen* beispielsweise die Information darüber nicht rechtzeitig oder sie müssen im Anschluss die Pflege verletzter Angehöriger übernehmen. Zunehmende Wasserknappheit führt dazu, dass Frauen* längere Wege bis zum nächsten Brunnen zurücklegen müssen. Rassistische Strukturen wiederum schreiben die Ausbeutung von Mensch und Natur in den Ländern des globalen Südens fort, während gleichzeitig Migrationsbewegungen in den globalen Norden durch Abschottungspolitiken an den Außengrenzen zusehends
verunmöglicht wird.

Es ist dringlich zu verstehen, wie unterschiedliche Betroffenheiten mit der Klimakrise zusammenhängen oder sich auch überschneiden und verstärken. Werden wirklich alle Diskriminierungsformen mitgedacht wenn wir von Klima(un)gerechtigkeit sprechen? Dies bedeutet beispielsweise, eine antisemitismuskritische Perspektive zu erarbeiten, die keine verkürzte Kapitalismuskritik befördert, sondern Widersprüchlichkeiten und die Komplexität globaler politischer Zusammenhänge anerkennt. Aber auch klassistische Strukturen müssen mitgedacht werden. Menschen, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen, wollen zwar soziale Gerechtigkeit mit Klima-Themen verbinden und trotzdem sind Arbeiter*innen und Menschen mit wenig Geld in der Klimabewegung kaum vertreten.

Dekoloniale Betrachtung des Klimawandels

Es gibt keine Klimagerechtigkeit ohne eine grundlegenden Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Antikoloniale Kämpfe und Landrechtskämpfe waren schon immer aufs Engste mit dem Umweltschutz verknüpft. Vielen ist nicht bewusst, dass der Ansatz der Klimagerechtigkeit von Schwarzen, Indigenen und People of Color geprägt
wurde. Die weit verbreitete Erklärung eines „menschengemachten“ Klimawandels, das so genannte Zeitalter des Anthropozän, ist dabei wenig hilfreich und lässt die beschriebenen sozialen Ungleichheiten unberücksichtigt. Die Grundlagen für die heutigen Machtverhältnisse, die Dominanz des globalen Nordens und die anhaltende Ausbeutung der Länder des globalen Südens, liegen im Kolonialismus begründet. Im 16. Jahrhundert etablierte sich ein ausgeklügeltes Handelsnetz, der transatlantische Sklavenhandel. Dadurch wurden einerseits systematisch Millionen von Afrikaner:innen für den An- und Abbau von Zucker, Baumwolle und Tabak ausgebeutet. Andererseits erfolgte so auch die massive Ausbeutung natürlicher Ressourcen wie etwa Gold, Silber und Kupfer. Die kolonisierenden Länder konnten so enormen materiellen Wohlstand erreichen. Für die kolonisierten Länder hingegen, bedeutete dies zahlreiche Genozide, sowie den Kollaps der Ökosysteme. In der Politik, sowie in der Öffentlichkeit wird mit dem Finger gern auf Länder wie China oder Brasilien verwiesen, die entweder für einen Großteil der Emissionen verantwortlich sind oder einem effektiven Klimaschutz entgegenstehen. Was dabei jedoch nicht thematisiert wird, ist, dass viele der dort produzierten Produkte und Güter weiterhin für westliche Märkte bestimmt sind. Mit Blick auf die historischen Treibhausgasemissionen zeigt sich, dass der globale Norden für mehr als zwei Drittel davon verantwortlich ist. Die Länder des Globalen Südens sind aber zwei bis drei Mal verletzlicher gegenüber den Klimawandelfolgen. Um das
Auseinanderklaffen von Verursachung und Betroffenheit adäquat zu adressieren, können wir den historischen Kontext nicht einfach ausklammern. Wie die Politologin und Historikerin Françoise Vergès sagt, lässt sich die Klimakrise am ehesten als rassistisches Kapitalozän beschreiben, in dem die Geschichte von Kolonialismus, Kapitalismus und Industrialisierung miteinander verwoben sind.

Als machtkritische Aktivistin sehe ich in diesen Zusammenhängen den Ursprung der Klimakrise begründet. Ein dekolonialer und intersektionaler Zugang hilft dabei zu verstehen, wo die Ursachen des Klimawandels liegen, aber vor allem auch warum die Zerstörung der Erde weiter anhält und wie vielfältig sich die damit in Verbindung stehenden Ungleichheiten gestalten.

(M)eine Utopie

Eine machtkritische Betrachtung bleibt im deutschen Klimaaktivismus bisher noch eher (m)eine Wunschvorstellung. Ein erster Schritt in dieser Richtung würde bedeuten, dass die Klimabewegung sich sowohl nach innen (die eigenen Strukturen und Positionierungen), sowie nach außen gerichtet (wofür kämpfen wir?) stärker reflektiert und hinterfragt. Was bedeutet die Realität von weißen, cis-männlich dominierten Räumen? Und inwiefern sind wir bereit von den schon jahrzehntelang bestehenden Kämpfen von Aktivist:innen im globalen Süden zu lernen, anstatt als „Retter:innen“ aufzutreten, die besser Bescheid wissen, wie der Weg in eine klimagerechte Zukunft aussehen kann? Die berühmte Schwarze Feministin Audre Lorde sagte einst: „There is no thing as a single-issue struggle because we do not live single-issue lives”. Als Klimabewegung müssen wir die komplexen Verstrickungen von Ungleichheiten und Klimakrise mehr berücksichtigen und auch nach neuen Allianzen und Verbündeten suchen, etwa mit der antirassistischen Bewegung, um die nötige Durchschlagskraft für echte politische Veränderungen zu erreichen.

Zur Autorin: Nene gehört zum BIPoC Environmental & Climate Justice Kollektiv Black Earth, dass sich mit Klima(un)gerechtigkeit beschäftigt. Im Fokus der Arbeit steht eine dekoloniale und intersektionale Betrachtung auf den Zusammenhang von Klimakrise und sozialen Ungleichheiten.

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5 Gedanken zu “Nene, warum sollten wir Klima(un)gerechtigkeit intersektional betrachten?

  1. Der Beitrag gehört zu den wichtigsten, die ich hier gelesen habe!

    Leider gibt es Menschen, die glauben, mit der Abschaffung der Sklaverei und der Erklärung der Unabhängigkeit vieler ehemaliger Kolonien sei alles gut. Weit gefehlt! Der Wohlstand der reichsten Länder fusst auf massivem Unrecht! Nein, ganz und gar nicht nur als Spätfolge! Es geht sehr wohl auch um immer wieder neu geschaffenes Unrecht!

    Allerdings ist meine große Hoffnung, dass man nicht so blöd ist, altes Unrecht durch neues zu ersetzen. Ich möchte es wirklich nicht annähernd gleichsetzen, aber eine Ausgrenzung von „alten weißen Männern“, bloß weil sie eben dies sind, ist ein solches neues Unrecht! Das würde ich genau so sehen, wenn ich beispielsweise eine Chinesin oder ein Kind und Nachfahre amerikanischer Urvölker wäre!

    Wirklich schlau geworden ist die Menschheit erst dann, wenn sie endlich nur noch danach fragt, was das Individuum für die Gemeinschaft anbietet. Jegliche Frage nach Geschlecht, Hautfarbe, Alter usw. verbietet sich – aus Gründen der Menschlichkeit, aber auch, weil sie in Deutschland (und anderswo) grundgesetzwidrig ist!

    LG Armin

  2. Hallo . Im Grunde ist das alles richtig und es muss! sich in den Köpfen der Menschen ,Weltweit, etwas bewegen. Das allerdings, zu aller erst ,zu Hause bei der Erziehung der Zwerge, in Schulen, Tagesstätten und natürlich auch in den Universitäten. So das irgendwann in der Politik Personen beheimatet sind ,welche diese, z.B. sozialen , ethischen u klimatischen Ziele umsetzen ! Ihr Kids seit auf dem Weg und das macht mich sehr glücklich. In Afrika werden gerade massiv Menschen auf Drogen (Opiate u Alkohol) gesetzt, um dann an ,super günstige Landpacht Verträge zu kommen. Nur süchtige Menschen arbeiten nicht mehr und nach 99 Jahren ist keiner mehr da ,um das Land zurück zu fordern. Eine sehr miese u verwerfliche Praxis. Europa mit dabei und nicht nur Asien usw. Alle wie z.B. Dokumentation oeffendlich rechtlich; Heinecken u Tramadol auf vielen Straßen. Kotz!!! Wir alle müssen einen Mittelweg finden u suchen zwischen totalitären Kapitalismus,(Altmaier CDU im Interview) und dem pseusdo Kommunismus ,wie in China usw. Danke bis dann und weiter am Ball bleiben! Chris.

  3. Es gibt in der Tat keine Klimagerechtigkeit ohne eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Und eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse bedeutet nichts Geringeres als die Überwindung des Kapitalverhältnisses. Also eine Überwindung des Kapitalismus. Es muss endlich verstanden werden, dass eine Gesellschaftsform, die auf nichts anderem beuht als auf dem Zwang, aus einem Geldschein beziehungsweise einer Münze zwei zu machen, nicht nur keine Zukunft haben kann, sondern die Ursache der verheeenden Katastrophe ist, die das Überleben der Menschheit bedroht. Aus Papierfetzen können können keine Kleider genäht werden.Ebensowenig, wie das Papier und das Metall, aus dem Geld hergestellt, dafür taugt, um Häuser zu bauen oder um Waggons von Bahnen oder um Busse herzustellen, die als öffentliche Verkehrsmittel dienen könnten.Es muss auch endlich ver-standen werden, womit Geld selbstzweckhaft vermehrt wird, nämlich durch den kein bisschen weniger selbst-zweckhaften Arbeitszwang. Das mag klingen, als passe es nicht zum Thema. Das tut es aber doch. Und zwar allein schon dadurch, dass viele im globalen Nordwesten den Menschen des globalen Südens lange Zeit vorgeworfen haben, dass sie die Zwänge des Kapitalverhältnisses nicht genügend verinnerlicht hätten, zumindest nicht den Arbeitszwang. Dass Geld die Welt regiert, ist schon lange Allgemeingut. Ge-fragt werden muss aber auch: Wer (oder was) regiert das Geld? Es ist der Markt. Und weiter: Wem (oder was) dient der Markt? Er dient dem Konkurrenzzwang. Sowie: Was bezweckt der Konkurrenzzwang? Der Konkurrenzzwang bezweckt endlos scheinendes Wachstum.Wachstum wovon? Von abstraktem Geldreich-tum, der nichts anderes ist als eine ungeheure Menge von Papierfetzen und Metallscheibchen, die zu nichts Sinnvollem taugen. Was auch noch verstanden werden muss: Der Markt ist keine Menschengruppe. Sich also eine bestimmte Menschengruppe als Sündenbock audzusuchen, wie gerade zum Antisemitis-mus Neigende gerne tun, lässt niemanden die eigentliche Zusammenhänge begreifen. Desweiteren ist der allseitige Zwang, zu kaufen und zu verkaufen, kein „freies Spiel“, was nicht nur ang-henden Ökonom:innen aufgenötigt wird, auswendig zu lernen, sondern auch allen, nicht nur die Grund-schule besuchen. Diser allseitige Zwang kommt niemandem zugute,im Kapitalverhältnis ist die ganze Menschheit gefangen. Was aber nicht heißt, dass diese Gesellschaftsform keine Ungleichheit und damit auch Unge-rechtigkeit produziert. Dass sie das tut, ist ebenfalls längst Allgemeingut. Was leider aber immer noch nicht Allge-meingut ist, vor allem bei Leuten außerhalb der Klimabewegung, dass es keine Schuldigen, sondern nur Ursachen gibt, wie Karl Marx schon vor über 150 Jahren feststellte.Die Ursache der sexisti-schen Strukturen, die besonders Frauen im globalen Süden das Leben schwermachen, heißt Kapitalver-hältnis. Heißt selbstzweckhafte Geldvermehrung durch Arbeitszwang: Denn aus welchem anderen Zwang heraus als dem, auch für die einfachsten Dinge Geld auftreiben zu müssen, zwingt die Familien dazu, ihre Töchter als Bräute an zahlende Bräutigame zu verkufen? Besonders, wenn den Menschen die Mög-lichkeit, ihre Arbeitskraft verkaufen zu können, immer mehr verwehrt bleibt.Wie Nene betonte, liegen die Dominanz des globalen Norden und die Ausbeutung der Länder des globalen Südens im Kolonialismus begründet. Der Kolonialismus ist auch die Hauptursache für den Erfolg des kapitalistischen Zwangssy-stems. Gerade aus den obengenannten Gründen kann Klima(un)gerechtigkeit nicht anders als intersektional betrachtet werden. In diesem Sinne, alle solidarischen Grüße an alle, die nicht einfach glauben, es sei allein „der Mensch“ der für die Klimakrise verantwortlich sei. Bleibt dran und behaltet einen möglichst langen Atem! Seid und bleibt stark! Silvia.

  4. Habe den Begriff Kapitalözän zuerst im EIREN Magazin 2 2021 gelesen.
    Die Logik ist klar und ergreifend.

    Leider wird die Klimakrise aber trotz treffender Analyse nicht mehr verhinderbar sein.

  5. Aber auch nicht dadurch, dass die Zusammenhänge nicht begriffen werden. Und noch weniger dadurch, dass mit dem kapitalistischen Konkurrenzzwang, diesem völlig verrückten Krieg alle gegen alle, nicht endlich Schluss gemacht wird. Das erkannte übrigens auch Greta, als sie sagte, dass wir aufhören müssen, gegeneinander zu konkurrieren und stattdessen anfangen müssen, miteinander zu kooperieren. Silvia

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