
Der kürzliche erschienene IPCC-Bericht zeigt: Noch haben wir die Möglichkeit die menschengemachte Erderwärmung unter 1,5°C zu begrenzen. Doch klar ist auch: Dafür sind tiefgreifende Veränderungen nötig – und uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Die Aussicht auf Veränderung kann manchmal erstmal Angst machen – aber auch Mut zum Aufbruch und Hoffnung, dass sich Dinge zum Guten wenden. Dieses Jahr ist entscheidend: Mit der Bundestagswahl und der COP26 stehen zwei Ereignisse an, die die Möglichkeit für Veränderung in sich bergen. Und am 24.09. gehen wir wieder weltweit auf die Straße für eine klimagerechte Gesellschaft. Deshalb haben wir Aktivist*innen und Expert*innen gefragt, was sie antreibt, ihnen Mut macht für die Zukunft und in welcher Welt sie leben wollen. Den Anfang macht unsere Pressesprecherin Pauline.
Als ich ein jüngeres Kind war, fiel es mir oft schwer, abends die Nachrichten zu gucken. So viel Ungerechtigkeit, so viel Krieg, so viel Leid, so viel Zerstörung. In meinem Kopf hat das nie Sinn ergeben. Man kann es doch einfach anders machen – oder nicht? Als ich acht war, hielt ich in der Schule einen Vortrag für den Umweltschutz. Gegen die Kohle war ich, gegen Atomenergie und gegen das Leiden von Tieren sowieso. Als ich neun war, gründete ich mit meinen Freundinnen selbstorganisierte Gruppen, die sich für die Natur einsetzten und ich schleppte meinen Vater auf Aktionen von Greenpeace in meiner Stadt. Ich erinnere mich noch daran, dass wir an einem unfassbar heißen Tag gemeinsam an der Rheinpromenade waren und ich ihn in ein Ganzkörper-Eisbären-Kostüm gezwängt habe. Tourist*innen haben Fotos mit ihm gemacht und ich drückte ihnen dabei Flyer in die Hand, die über die gefährlichen Ölbohrungen von Shell in der Arktis informierten. Viel habe ich damals wahrscheinlich noch nicht verstanden und viele Dimensionen der ökologischen und sozialen Krisen übersehen. Aber eins habe ich immer gewusst: Dass wir Ungerechtigkeiten nie akzeptieren dürfen. Dass wir es besser machen müssen. Dass für eine bessere Welt kompromisslos zu kämpfen ist.
Ich möchte mich in diesem Text wieder ein bisschen in diese viel kindlichere Pauline zurückversetzen. Und gleichzeitig glaube ich, dass ich in dem vergangenen Jahrzehnt, seitdem ich meine ersten Aktionen gegen die Umweltzerstörung gestartet habe, viel dazugelernt habe.
Wer über die Klimakrise liest und spricht, merkt schnell, dass einige Punkte in dieser Diskussion nicht mehr umstritten sind. Schwarz auf weiß. Dazu gehört, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt. Dass er zur Katastrophe wird, wenn wir ihm nicht auf allen Ebenen etwas entgegensetzen. Auch, dass die aktuelle Erwärmung von 1,2 °C schon für Millionen Menschen dieser Welt die Hölle ist, wie es die ugandische Klima-Aktivistin Vanessa Nakate formuliert. Auch, dass wir jetzt drastisch Emissionen reduzieren müssen, wenn wir die Krise noch eindämmen wollen. Dass das bedeutet, dass sich dann alles verändern muss.
Wenn wir ernst machen mit dieser allumfassenden Veränderung, dann bedeutet das, dass wir die Chance haben, uns von alten ausbeuterischen und zerstörerischen Kontinuitäten zu verabschieden und diese Welt so zu gestalten, dass sie allen Menschen ein gutes Leben ermöglicht. Wenn wir uns allerdings anschauen, wie diese Welt aussehen soll, dann sind vielleicht die Richtungen klar, aber die Antwort darauf scheint nicht mehr ganz so schwarz auf weiß zu sein. Sie auszuhandeln und auszudiskutieren ist damit eine der größten Aufgaben, vor der wir stehen. Denn: Eine Antwort auf die Frage, wie diese bessere und klimagerechte Welt aussehen soll, wird nur einen Wert haben, wenn sie wirklich alle Perspektiven und Bedürfnisse einbezieht – insbesondere von denjenigen, die heute überhört und unterdrückt werden. Wie wir die Energiewende einleiten, können uns Wissenschaftler*innen erklären. Wie wir eine gerechte Gesellschaft und globales Miteinander schaffen, aber nur diejenigen, die heute von ihren Ungerechtigkeiten betroffen sind. Wir müssen ihnen zu hören. Denn wir es nicht tun, schaffen wir es vielleicht trotzdem die deutsche Wirtschaft auf Klimaneutralität umstellen. Aber wir würden vergessen wofür wir eigentlich kämpfen: Eine Welt, in der alle Menschen – jetzt und in der Zukunft – gut leben können.
Deswegen ist es mir wichtig, dass mein Beitrag nur als einer von vielen verstanden wird. Umso mehr freue ich mich darauf, wenn auf dieser Plattform in den nächsten Wochen noch viel mehr Menschen ihre Visionen und Utopien einer klimagerechten Welt teilen.
Und meine eigene Utopie einer klimagerechten Welt, die ist, naja, wirklich kindlich simple. In ihrem Kern wünsche ich mir einfach nur, dass alle Menschen auf dieser Welt und in den Systemen um sie herum gut leben können. Und weil eine eskalierende Klimakrise zum Gegenteil davon führt, wünsche ich mir eigentlich eine Welt, in der es sie gar nicht gibt – wir reden hier ja schließlich über Utopien, nicht wahr? Denn selbst wenn wir es schaffen, die globale Erhitzung auf 1,5 °C zu begrenzen, hat sie dramatische Auswirkungen auf so viele Menschen auf dieser Welt. Realistisch können wir die Vergangenheit aber nicht rückgängig machen. Deswegen sind diese 1,5 °C Grad wahrscheinlich gerade das beste Szenario, dass wir überhaupt noch erreichen können. Verzeiht mir also, wenn ich es zum Kern dieser ganz persönlichen Utopie machen. Und auf dem Weg dahin… seht selbst:
In meiner Utopie leben wir seit Jahrzehnten in Deutschland klimaneutral – wir haben unseren Verkehr, unsere Gebäudewirtschaft, unsere Landwirtschaft, unsere Industrie umgestellt. Und das Leben ist dadurch besser geworden.
Weil wir eine allumfassende Verkehrswende weg vom Verbrenner durchgeführt haben, leben wir in Städten, in denen endlich wieder gute Luft geatmet werden kann. Der ÖPNV und Mobilität ist kein Privileg mehr für die, die es sich leisten können, sondern für alle kostenlos nutzbar. Genauso haben wir patriarchale, rassistische und ableistische Strukturen überwunden, so dass sich auch alle Menschen sicher fühlen können, mit Bus und Bahn zu reisen. Wir haben uns abgekehrt von der konventionellen Landwirtschaft und unser Essen ist jetzt nicht nur besser für die Natur, sondern auch für uns! Millionen Menschen haben Jobs, die sozial und grün gestaltet sind.
Statt global auf neuen Ebenen auszubeuten, begleichen wir unsere historischen Schulden, indem wir zum Beispiel unsere internationale Klimafinanzierungen zahlen und mit kolonialen Kontinuitäten brechen. Ich träume von einer Welt, in der wir Menschen in Not helfen, immer und überall. In der wir solidarisch sind, auch wenn wir selber nicht von Katastrophen betroffen sind. Es ist eine Welt, in der sich nicht nur unsere Klamotten, sondern auch Schutz suchende Menschen über alle Grenzen hinweg bewegen dürfen. Vor allem aber eine Welt, in der Menschen gar nicht erst dazu gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen. In meiner klimagerechten Utopie können wir gesund sein. Menschen und die Natur werden über Profite gestellt.
In meiner klimagerechten Utopie können alle Menschen gut leben.
Und was jetzt noch Utopie sein mag, kann morgen schon Realität sein – und im hier und jetzt etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Wir sehen uns auf der Straße!
Zur Autorin: Pauline Brünger ist 19 Jahre alt und hat im Dezember 2018 mit Schulstreiks für das Klima in Köln begonnen. Mittlerweile ist sie mit der Schule fertig und studiert Philosophie, Politik und VWL. Bei Fridays for Future organisiert sie Demonstrationen und ist eine Pressesprecherin der Bewegung.