Zeit für Klimagerechtigkeit #KeinGradWeiter – Teil III: Eine gerechtere Gesellschaft

Am 25.09. gehen wir weltweit auf die Straße und protestieren für Klimagerechtigkeit – denn die Klimakrise wird im Moment auf dem Rücken derer ausgetragen, die am wenigsten zu ihrer Verursachung beigetragen haben, wie wir in Teil I unserer Artikelserie erklärt haben. Das betrifft vor allem Menschen und Länder des Globalen Südens, wie genau erläuterten wir in Teil II. Eine Ursache dieser ungerechten globalen Beziehungen ist auch Rassismus, um den es heute unter anderem gehen soll. 

Klimagerechtigkeit bedeutet Antirassismus 

Die Entwicklungsgeschichte der frühen Industrienationen, die heute von allen anderen Ländern als Vorbild verwendet wird, basiert auf der kolonialen Ausbeutung von Märkten, Arbeitskräften und der Natur, sowie auf der Emission von CO2. Wenn Länder wie Deutschland als Vorbild dargestellt werden, wird häufig übersehen, dass unsere eine Erde nicht ausreichen würde, um diesen Lebensstil für alle Menschen weltweit zu erreichen und dass dieser Lebensstil auf struktureller Ungerechtigkeit basiert.

Die koloniale Ausbeutung und ungleiche Verteilung von Macht, Finanzen und Ressourcen wurden im Namen verschiedener Formen der Überlegenheit, einschließlich einer racial superiority, gerechtfertigt. Das heißt, es wurde davon ausgegangen, dass es unterschiedliche „Menschen-Rassen“ gäbe, die einander unter- bzw. überlegen seien. Dieses Denken ist schon lange wissenschaftlich widerlegt und nur noch Hardliner sprechen von „Menschen-Rassen“, aber die Idee dahinter hat leider überlebt: in Form von Vorurteilen, die tief in den Köpfen von Menschen verankert sind. Rassismus ist dabei mehr als ein Vorurteil – Rassismus ist ein System aus Vorurteilen und Machtverteilung, das Menschen systematisch benachteiligt und in das wir alle verstrickt sind. Ob etwas rassistisch ist, hängt auch nicht so sehr von der Absicht, mit der es geschieht, sondern von der Wirkung, die es erzielt, ab. 

Rassismus wirkt sich beispielsweise darauf aus, inwiefern Menschen die Möglichkeit haben, sich vor den Folgen der Klimakrise zu schützen. Dass rassistische und post-koloniale globale Strukturen dazu beitragen, dass Menschen im Globalen Süden durch die Klimakrise stärker betroffen sind und zugleich ihre Stimmen weniger gehört werden, haben wir in unserem letzten Beitrag erläutert. Rassismus führt aber auch innerhalb von Ländern wie Deutschland oder den USA zu stärkerer Belastung durch Umweltschäden und die Klimakrise. Unter anderem deshalb, weil Black, Indigenous, People of Colour (BIPoC)* auf dem Arbeitsmarkt und dem Wohnungsmarkt benachteiligt werden und so in Gegenden leben, in denen z.B. weniger Grünanlagen sind und die Wohnungen schlechter energetisch saniert sind – in den Hitzesommern, die die Klimakrise bringen wird, eine gefährliche Belastung für die Gesundheit.

2018 stellte eine Studie der Environmental Protection Agency fest, dass Schwarze in den USA durchschnittlich 1,5-mal so viel Feinstaub ausgesetzt sind wie Weiße – Hispanics 1,2-mal so viel. Auch in Deutschland sind Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund stärker von Feinstaubbelastung und anderen Umwelt- und Klimaschäden betroffen, zeigen Studien des Umweltbundesamts. Dazu kommt, dass BIPoC-Aktivist*innen, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen, in ihrem Engagement nicht nur viel zu oft ignoriert und überhört werden, sondern auch rassistischen Anfeindungen ausgesetzt sind. Daher bedeutet für Klimagerechtigkeit zu kämpfen auch rassistische Denkmuster zu reflektieren und zu durchbrechen.  

*BIPoC = Black Indigenous People of Colour ist eine gängige Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrung.

Klimagerechtigkeit bedeutet soziale Gerechtigkeit 

Menschen mit geringerem Einkommen leben häufig in Wohngegenden mit weniger Begrünung, Schattenplätzen und Nähe zu Parks oder anderen Erholungsgebieten. Sie können sich häufig auch keine energetisch gut sanierte Wohnung leisten. Daher leiden sie besonders unter den durch die Klimakrise heißer werdenden Sommern und Extremwetterereignissen wie Hitzewellen.

Gerade für chronisch kranke und ältere, insbesondere allein lebende Menschen kann dies lebensgefährlich werden. So leben laut einer Studie von Laußmann et. al. beispielsweise Menschen mit niedrigerem Einkommen häufiger an dicht befahrenen Straßen und sind daher stärker von Feinstaubbelastung betroffen. Demnach berichteten 28,3 % der Befragten mit niedrigem Sozialstatus davon, an einer stark oder extrem stark befahrenen Straße zu wohnen, doch nur 14,8 % der oberen Statusgruppe. Zugleich hat fast die Hälfte der Haushalte mit niedrigem Einkommen kein Auto und trägt dadurch weit weniger zur Feinstaubbelastung und zu den CO2-Emissionen des Verkehrs bei (zum Vergleich: nur 8 Prozent der Haushalte mit hohem ökonomischem Status haben kein Auto).
Kinder, die an häufig befahrenen Straßen leben, leiden zudem häufiger an Krankheiten wie Bronchitis, Lungenentzündung und Nasennebenhöhlenentzündung.

Klimagerechtigkeit bedeutet daher: Verringerung oder Ersatz des Autoverkehrs im städtischen Raum, besserer ÖPNV und mehr Schattenplätze und städtische Begrünung, sowie Erhaltung von Natur. Denn diese Maßnahmen sind nicht nur wichtig für den Klimaschutz, sondern machen unsere Städte auch sozialer und zukunftsfähiger.     

Klimagerechtigkeit bedeutet Geschlechtergerechtigkeit 

Auch geschlechtsspezifische Diskriminierung führt neben rassistischer und klassizistischer Benachteiligung dazu, dass manche Menschen durch die Klimakrise stärker betroffen sind als andere. Im Folgenden werden vor allem über die Auswirkungen des Klimawandels für Frauen und Mädchen im Vergleich zu Männern und Jungen erklärt. Es gibt kaum Quellen zu den gender-spezifischen Auswirkungen der Klimakrise auf nicht-binäre Menschen. Es ist aber davon auszugehen, dass auch sie durch sozioökonomische Benachteiligung und gesellschaftliche Stigmatisierung, die sich z.B. auch auf den Zugang zu medizinischer Behandlung auswirkt, stärker unter Klimafolgen leiden.

Durch die Klimakrise wird die Anzahl von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Wirbelstürmen steigen. Frauen und Mädchen sind davon deutlich stärker betroffen als Männer. Eine Studie der London School of Economics stellte zwischen 1981 und 2002 4.605 Katastrophenfälle in 141 Ländern fest. Die Zahl der Todesfälle von Frauen nach Katastrophen lag dabei deutlich höher in Ländern mit besonders hoher Ungleichheit der sozialen und ökonomischen Stellung von Frauen und Männern. Eine aktuelle Studie mit Fallzahlen in ähnlichem Umfang liegt nicht vor. Es ist aber zu vermuten, dass diese Differenz eher zugenommen hat, da die geschlechtsspezifische, haushalts- und familienbezogene Arbeitsbelastung von Frauen in Regionen mit starken Klimawandelfolgen ansteigt, weil diese beispielsweise in Dürregebieten weiter laufen müssen, um Wasser zu holen.

Das Europäische Parlament hat in einem Initiativbericht vom 16. Januar 2018 festgestellt: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen bei Naturkatastrophen ums Leben kommen, liegt um ein Vielfaches höher als bei Männern.” Grund dafür ist, dass Frauen aufgrund von toxischen Geschlechterrollen weniger Zugang zu guter Gesundheitsversorgung haben und durch sozioökonomische Benachteiligung oftmals in Gebieten leben, die häufiger und schlimmer von Naturkatastrophen betroffen sind (v.a. ältere Frauen und Alleinerziehende sind hier besonders betroffen).

Laut der ILO arbeitet zudem eine von drei Frauen weltweit in der Landwirtschaft, einem Sektor, den der Klimawandel besonders hart trifft. Während Frauen Land bearbeiten, Wasser, Essen und essentielle Kraftstoffe sammeln, fehlt ihnen oft Zugang zu Land, Ausrüstung, Finanzierung, Märkten und Entscheidungsgewalt, um sich vor den Auswirkungen der Klimakrise zu schützen.

Eine Studie der Weltnaturschutzorganisation zeigt zudem, dass die geschlechtsspezifische Gewalt durch die Klimakrise zunehmen wird. Grund dafür sind z.B. Gesetze, die Frauen davon abhalten, Land zu besitzen. Durch die Klimakrise verschärfte Knappheit an Land und Nahrungsmittel bringt Frauen und Mädchen daher in ein Abhängigkeitsverhältnis, das für sexuelle Ausbeutung ausgenutzt werden kann. Schlechte Ernten oder Naturkatastrophen bringen Familien, die ihre Existenzgrundlage verloren haben, dazu, ihre Töchter früher zu verheiraten, weil sie nicht für alle Familienmitglieder sorgen können. Naturkatastrophen führen zudem durch posttraumatische Belastungsstörungen, Verlust von Platz und eine angespannte gesellschaftliche Lage zu mehr Gewalt gegen Frauen. Beispielsweise im pazifischen Inselstaat Vanuata stieg die Anzahl der gemeldeten Fälle von häuslicher Gewalt um 300 Prozent an, nachdem dort zwei tropische Wirbelstürme gewütet hatten. Nachdem der Taifun „Haiyan“ 2013 Thailand traf, stieg der Menschenhandel dort um bis zu 30 Prozent an.

Dennoch wurde erst 2014 in den internationalen Klimaverhandlungen anerkannt, dass die Auswirkungen von Gender* in der Klimapolitik in allen Bereichen miteinbezogen werden müssen (Notwendigkeit von Gender-Mainstreaming). Mittlerweile ist Gender in der Präambel des Pariser Klimaabkommens 2015 verankert, das aufgrund des Ratifizierungsverfahrens völkerrechtlich verbindlich ist. Dort wird gefordert, Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit und das Empowerment von Frauen bei allen Aktivitäten im Bereich Klimawandel zu berücksichtigen.

Daher bedeutet Klimagerechtigkeit auch, geschlechtsspezifische Folgen der Klimakrise in den Blick zu nehmen und auszugleichen. Dies hat auch Potential, um CO2-Emissionen einzusparen: Eine Untersuchung der Verbindungen zwischen dem Gleichstellungsstatus und der Größe des carbon footprints in mehr als hundert Ländern aller Weltregionen zeigt, dass nach dem Bruttosozialprodukt die Gleichstellung der Geschlechter der Faktor mit den größten Wirkungen auf die Minderung von CO2-Emissionen ist.

Ähnliche Ergebnisse liegen aus Skandinavien vor, wo Kommunen, die ihre politischen Maßnahmen weitestgehend unter Berücksichtigung möglicher genderdifferenzierter Wirkungen planen und realisieren, auch die höchsten Werte bezüglich ihres Engagements in der Klimapolitik haben – und umgekehrt. Grund dafür kann beispielsweise die Überwindung bestimmter geschlechtsspezifischer Rollenbilder sein, die dazu führen, dass Männer einen größeren CO2-Fußabdruck haben als Frauen, wie ein Vergleich des carbon footprints nach Geschlecht zeigte: Männer hatten ein anderes Mobilitätsverhalten, sie fuhren schneller, häufiger und größere Autos, was zu dem Unterschied im CO2-Austoß führte. Einschränkend muss aber darauf verwiesen werden, dass dabei weitere, in den Studien nicht untersuchte Faktoren eine Rolle spielen können, etwa der Energiemix bei der Stromversorgung oder auch eine vergleichsweise fortschrittliche Haltung, die Beides – die Geschlechtergleichstellung wie auch die Klimapolitik – forciert.

*Gender: Der Begriff Gender beschreibt die sozialen Folgen die mit einer bestimmten Geschlechtszugehörigkeit verbunden sind, also die Rollenerwartungen, die an eine Person gerichtet werden, die z.B. als weiblich wahrgenommen wird.

Klimagerechtigkeit bedeutet: Wir müssen Strukturen und Denkmuster überwinden, die Menschen ausschließen und benachteiligen, um sie vor den Folgen der Klimakrise zu schützen und sie einzubeziehen. Denn nur gemeinsam können wir die Klimakrise stoppen. Daher gehen wir auch alle gemeinsam am 25. September für wirkungsvolle Klimamaßnahmen und eine gerechtere Gesellschaft auf die Straßen. 

In dem nächsten und letzten Teil unserer Artikelserie widmen wir uns dem Gedanken, wie eine klimagerechtere Gesellschaft aussehen kann. 

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