Volker, hör die Signale!

Die Klimakrise eskaliert: Europa erhitzt sich am schnellsten, 2023 war das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnung, immer mehr Menschen erleiden Hitzetode. Das sind keine neuen Nachrichten mehr. Sie sind schon lange Teil der Schlagzeilen-Kakophonie, mit der man sich als klimabewegter Mensch allgegenwärtig konfrontiert sieht. Aber offensichtlich sind sie an einem Ort noch nicht angekommen – im Bundesverkehrsministerium. Konkret: im Büro von Verkehrsminister Volker Wissing. Zeit, dass etwas passiert. 

Die Bestandsaufnahme

Mitte März hat das Umweltbundesamt (UBA) seinen Bericht über die deutschen Treibhausgasemissionen vorgelegt. Die große Überraschung: die Klimaziele wurden in der Gesamtrechnung eingehalten. Das war einerseits durch krisenbedingte Produktionseinbrüche, andererseits durch Übererfüllungen unter anderem im Industriebereich möglich. Man kann es in aller Deutlichkeit sagen: das war gut. 

Aber ein Sektor irritiert nachhaltig: der Verkehrssektor. Im Jahr 2023 hat er sein Klimaziel um 13 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gerissen. 13 Millionen – das ist dramatisch. Und ja, das ist Arbeitsverweigerung. Seit 2021, dem Jahr des Amtsantritts Volker Wissings, sind die Emissionen in diesem Sektor g e s t i e g e n. Hier findet etwas Ausdruck in Zahlen, was sich sonst nur in der politischen Realität widerspiegelt:  Wissings Umgang mit der Klimakrise ist unzureichend, ambitionslos, lethargisch, blockierend… für diese Art, ein Ministerium zu führen, gibt es viele Worte. Aber eins trifft es am besten: Rücktrittsgrund. 

Und Wissing?

Die Emissionen im Verkehrssektor steigen. Quelle: Umweltbundesamt

Offensichtlich weiß auch er von seiner Blockade. Alle Maßnahmen liegen auf dem Tisch, und das seit Amtsantritt. Immer wieder erfährt er politischen Druck, zuletzt nach dem krachenden Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, das Volker Wissing auf Basis des Klimaschutzgesetzes (KSG) zu einem effektiven Sofortprogramm verpflichtete. Ganz schön viel Verantwortung, der er konsequent nicht nachkommt.

Was macht man denn, wenn man seiner Verantwortung nicht gerecht wird? Dafür hat sich Wissing etwas ganz besonders Kluges überlegt: Er und seine Regierungskolleg*innen schaffen einfach die Verantwortung ab! Probier’s mal mit Gemütlichkeit. Dafür hat er in einem offenen Brief an die Bundesregierung gefordert, die Entkernung des KSGs voranzutreiben. Wir erinnern uns: Das ist das Gesetz, auf dessen Basis er zu Sofortprogrammen verurteilt wurde. Dazu warf er eine populistische, postfaktische Nebelkerze: Wenn wir das KSG nicht sofort abschwächten, dann müsste es leider Fahrverbote für die Bürger*innen geben – und das würde ja niemand wollen. Geschickt außer Acht lässt er dabei, dass es nur so weit kommen konnte, weil er nichts getan hat. Aber so ist er halt. 

Und jetzt?

Jetzt wurde das KSG tatsächlich entkernt. Vergangenen Freitag stimmte der Bundestag der Änderung zu. Die Ministerien werden dabei aus der Verantwortung genommen: Anstatt der verbindlichen, jährlichen sektorspezifischen Betrachtung, die ein strammes gesetzliches Korsett für effektiven Klimaschutz geschnürt hat, gibt es eine mehrjährige Gesamtbetrachtung, die Raum für politisches Fingerzeigen und Verantwortungsdiffusion lässt. Sofortprogramme  müssen nur noch dann vorgelegt werden, wenn die Bundesregierung ihre Klimaziele zwei Jahre in Folge verfehlt. Volker Wissing kann sich zurücklehnen: Er hat sich aus dem Korsett gewunden. 

Das klingt vielleicht etwas pathetisch, ist aber so: Das ist dramatisch. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem die Weichen für die kommenden Jahre der deutschen Klimapolitik gestellt werden – und diese Entkernung stellt sie zielsicher in Richtung Klimakollaps. Aus langjähriger Erfahrung wissen wir: Wenn wir Minister*innen nicht direkt in die Verantwortung nehmen können, wenn wir keine juristische Grundlage für effektiven Klimaschutz haben, dann passiert auch wenig bis nichts. 

Dabei ist es wichtiger denn je, dass jetzt etwas passiert – und eigentlich nicht nur etwas, sondern richtig viel: Endlich ambitionierte, effektive, deutliche Klimapolitik. Kein Wegducken aus der Verantwortung, keine Nebelkerzen. Das weiß auch Wissing, die Signale sind deutlich genug. Zeit, dass er sie ernst nimmt: Volker, hör die Signale!


Luis

Luis ist seit 2019 bei Fridays for Future Berlin und auf Bundesebene aktiv. Dabei beschäftigt er sich vor allem mit Öffentlichkeitsarbeit und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen.

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