Es ist ein merkwürdiges Gefühl, dass ich hier gerade sitze und diesen Jahresrückblick verfasse. Das vergangene Jahr ist so schnell vergangen, dass es sich noch gar nicht wie ein ganzes Jahr anfühlt – und das, obwohl so unfassbar viel seit letztem Dezember passiert ist.
Am 14. Dezember 2018 – also heute vor genau einem Jahr, während in Katowice der vorletzte Tag der UN-Klimakonferenz anbrach, haben wir zum ersten Mal in mehreren deutschen Städten gleichzeitig gestreikt. Aus jungen Menschen, die unter dem Motto „Fridays for Future“ streikten, wurde auf einmal Fridays for Future. Es war der Moment, in dem aus einem losen Zusammenschluss junger Menschen aus Orten und Städten, über das ganze Land verstreut, langsam eine Bewegung zu entstehen begann. Es war der Moment, in dem eine einzigartige, außergewöhnliche Geschichte begann. Eine Geschichte voller Hoffnung, und doch auch voller Sorgen.
Dies ist die Geschichte des deutschen „Ablegers“ von Fridays for Future, die Geschichte der globalen Bewegung beginnt bereits im August 2018. Zu Beginn des neuen Schuljahres beschließt die damals 15-jährige Schwedin Greta Thunberg, die Schule zu bestreiken, weil die Klimapolitik der schwedischen Regierung nicht ausreicht, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Innerhalb kürzester Zeit geht die Nachricht um die ganze Welt und junge Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern erkennen im Mittel des Schulstreiks eine Chance, ihre Stimme hörbar zu machen. So auch in Deutschland. Als wir anfingen zu streiken, hat niemand von uns damit gerechnet, dass es uns ein Jahr später immer noch geben würde. Niemand von uns hat damit gerechnet, dass es eine so langwierige Angelegenheit werden würde, dass selbst nach einem Jahr wöchentlicher Streiks und 4 bundesweiten Massenprotesten die Politik immer noch beim Klimaschutz blockieren würde. Niemand von uns hatte erwartet, dass wir gegen Lobbyverbände würden ankämpfen müssen und am Ende verlieren würden, obwohl wir das berechtigtere Anliegen haben, nämlich den Wunsch nach einer lebenswerten Zukunft. Eine weitere Erfahrung, die wir machen mussten: Die Klimakrise ist so real und präsent wie kein anderes Thema auf der Welt und dennoch sind die meisten Menschen kaum darüber informiert.
Wir starteten ins Jahr 2019 mit bundesweiten Demonstrationen am 18. Januar, eine Woche später demonstrierten wir mit 10.000 jungen Menschen aus ganz Deutschland in Berlin und überreichten einen Offenen Brief an die Kohlekomission, indem wir den Kohleausstieg bis 2030 forderten. In ihrem Abschlussbericht empfahl die Kohlekomission später den Kohleausstieg bis 2038 – für die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens viel zu spät.
Am 1. März demonstrierten wir gemeinsam mit Greta Thunberg und 10.000 jungen Menschen in Hamburg, zwei Woche später streikten wir mit 300.000 Teilnehmer*innen in ganz Deutschland zum ersten Mal global. Am letzten Freitag im März besuchte Greta Berlin, wo sich 25.000 Menschen an der Demonstration beteiligten.
Doch Handlungen seitens der Politik blieben aus. Stattdessen wurden wir belächelt oder die Ernsthaftigkeit unseres Engagements in Frage gestellt. Manche Politiker*innen lobten uns zwar, setzten sich jedoch nicht für konkrete Handlungen ein. Wir stellten fest, dass wir den Erwachsenen scheinbar doch erklären mussten, was zu tun ist und so entschieden wir uns dafür, Forderungen an die Politik zu stellen. Obwohl es eigentlich nicht die Aufgabe junger Menschen sein sollte, die Hausaufgaben der Erwachsenen zu erledigen. Im Rahmen einer Pressekonferenz am 8. April im Berliner Museum für Naturkunde präsentierten wir unsere Forderungen. Nach mehreren Wochen Vorbereitung trafen wir uns vier Tage vor der Pressekonferenz mit einer Gruppe von Aktivist*innen in Berlin für den Planungs-Endspurt. Es war eine spannende Erfahrung, mit einer Gruppe toller Menschen aus ganz Deutschland diese Veranstaltung bis ins letzte Detail durchzuorganisieren und am Morgen des 8.4. waren wir alle unfassbar aufgeregt. Zugleich war es für Viele von uns – wie nicht anders zu erwarten – die erste Pressekonferenz, die wir in unserem Leben organisiert hatten. Das vergangene Jahr hat mich und viele meiner Mitaktivist*innen vor unglaubliche Herausforderungen gestellt und die Erfahrungen haben unser Leben nachhaltig geprägt. Aus mir, aber auch aus vielen anderen jungen Menschen denen ich begegnet bin, haben diese Herausforderungen und Erfahrungen einen völlig neuen Menschen gemacht. In meinem Fall war aus der “grauen Maus”, die sich in der Schule wann immer es möglich war, vor Referaten gedrückt hatte, eine junge, selbstbewusste Frau geworden, die fortan Interviews gab und die Bewegung bei Podiumsdiskussionen und anderen Veranstaltungen vertrat. Viele von uns haben für ihr Engagement in der Bewegung ihr komplettes Leben umgekrempelt – und umgekehrt hat das Engagement unser komplettes Leben umgekrempelt.
Am 24. Mai haben wir zum zweiten Mal global gestreikt, Anlass dafür waren die Europawahlen. Alleine in Deutschland waren wir 320.000 Menschen auf den Straßen, Umfragen vor der Europawahl zeigten deutlich: für den Großteil der deutschen Wähler*innen war die Klimakrise das ausschlaggebende Thema bei der Wahlentscheidung. Die europaweiten Demonstrationen, aber auch die Demonstrationen in den anderen Ländern außerhalb der Europäischen Union waren ein klares Signal an Brüssel: die EU spielt bei der Verhinderung der Klimakrise eine entscheidende Rolle, als drittgrößter CO2-Emittent weltweit, als Verbund westlicher Industrienationen aber auch als internationales Vorbild. Ob dieses Europaparlament jener Verantwortung gerecht werden wird, wird sich erst noch zeigen. Mit dem Green Deal zeichnet sich immerhin ein Anfang ab, der jedoch in vielerlei Hinsicht noch verbesserungswürdig ist. Es wäre peinlich, wenn sich Europa nicht an ein Klimaschutzabkommen halten würde, welches in einer europäischen Hauptstadt 2015 von allen 196 Ländern der Welt unterzeichnet wurde.
Im Juni sind die meisten von uns nach Aachen gefahren. Zwei Tage hintereinander haben wir in unmittelbarer Nähe zum rheinischen Braunkohlerevier demonstriert: zuerst am Freitag mit 40.000 Menschen in der Innenstadt von Aachen, dann am Samstag gemeinsam mit anderen Klimabewegungen und Umweltverbänden entlang des Tagebaus Garzweiler.
Ende Juli haben wir uns in Dortmund beim Sommerkongress getroffen, viele neue Menschen kennengelernt, neue Freundschaften geknüpft, in spannenden Workshops und Veranstaltungen neues dazugelernt und Ideen für die Zukunft entwickelt. Viele Menschen, die bereits seit Monaten zusammenarbeiteten oder regelmäßig miteinander telefonierten, haben sich in Aachen oder Dortmund zum ersten Mal persönlich getroffen. Die Vorfreude war entsprechend groß, es wurde viele gelacht aber auch die eine oder andere Träne ist gefloßen.
Keine zwei Monate später haben wir zum dritten Mal global gestreikt: Am 20. September sind wir unter dem Motto „Alle fürs Klima“ mit 1,4 Millionen Menschen in ganz Deutschland auf die Straße gegangen. Währenddessen präsentierte die Bundesregierung in Berlin ein vollkommen unzulängliches Klimapaket und erntet dafür haufenweise Kritik seitens der Wissenschaft aber auch seitens der Zivilgesellschaft. Klimaschutzmaßnahmen, die nicht über den Placeboeffekt hinauswirken und zusätzlich auch noch die soziale Ungerechtigkeit verschärfen. Es fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht. All die Demonstrationen, monatelange harte Arbeit… Und jetzt? War all das umsonst gewesen? Als Reaktion auf das Klimapaket verfassten wir einen Offenen Brief an die Bundesregierung, indem wir die Überarbeitung des Klimapakets forderten.
Unter dem Motto „Neustart Klima“ gingen wir auch am 29.11. auf die Straße. Am vierten globalen Klimastreik beteiligten sich deutschlandweit 630.000 Menschen. Thema des vierten globalen Klimastreiks war der 25. UN-Klimagipfel in Madrid, der auf Grund festgefahrener Verhandlungen in verschiedenen Themenfeldern verlängert werden musste und möglicherweise noch weiter verlängert werden wird.
Und während die Politik noch weit davon entfernt ist, konsequenten Klimaschutz zu betreiben, gehen wir schon wieder auf die Straße. Machen uns Gedanken über neue Aktionen, fragen uns, warum die Politik es offensichtlich nicht versteht. Und gleichzeitig blicken wir zurück auf 12 außergewöhnliche Monate, 52 Wochen Schulstreik bei Sonne, Wind, Regen und Minustemperaturen. Auf vier Großdemonstrationen, hunderttausende Menschen, die voller Hoffnung gemeinsam für eine lebenswerte Zukunft ohne Klimakrise auf die Straße gingen. Wir blicken zurück auf ein Jahr demokratische Partizipation in völlig neuer Dimension. Wir sind eine globale Generation, verbunden durch einen gemeinsamen Wunsch, der keine Landesgrenzen kennt und alle Menschen dieser Welt betrifft.
We are the Change! Und wie wir mittlerweile alle wissen: Change is coming – whether you like it or not!